Mit dem Teufel im Bunde
Geduld.
Ihre Wohnung empfing sie mit Dunkelheit. Pauline verbrachte ihren freien Nachmittag mit Tobias bei ihrem Sohnund dessen Familie auf dem Brook. Erst als sie in ihrem kleinen Salon saßen, einen Teller mit Schinken, kaltem Ochsenfleisch, Wilstermarschkäse und Brot vor sich, als Magnus auch Gläser und einen Krug roten Wein auf den Tisch gestellt hatte, begann Rosina zu erzählen. Nicht alles, nicht jede Einzelheit, doch das Wichtigste. Sie hatte Verschwiegenheit versprochen, aber nur gegenüber Wagner. Magnus würde alles, was er hörte, für sich behalten, selbst wenn er es als falsch erachtete. Er stellte kaum Fragen, er hörte zu und nippte hin und wieder an seinem Wein.
«Ich habe während der letzten Tage immer wieder an eine Verbindung zwischen dem Mord und den Ereignissen in Kopenhagen gedacht», schloss Rosina. «Madam van Keupen hatte enge Verbindungen dorthin, ihr Stuckator kam direkt aus Dänemark, dazu diese Gerüchte um Struensee und einige seiner Anhänger, um die Königin und die Tochter, die man ihr genommen hat. Das alles ist überaus vage und nebulös, aber es hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Wenn ich nun alles in Betracht ziehe, was wir wissen, sieht es anders aus. Sankt Petersburg», beantwortete sie Magnus’ fragenden Blick. «Falls wir die Krakelei richtig entziffert haben und Tine mit einem Mann verheiratet ist, dessen erste Ehefrau vielleicht noch lebt … ach, das ist zu konfus. Es klingt nur nach dem nächsten Hirngespinst.»
«Nicht unbedingt», widersprach Magnus, «es wäre eine veritable Teufelei, wenn Sibylla van Keupen ihre Tochter mit einem solchen Mann verheiratet hat, nur weil der ihrem Handelshaus zu großen Gewinnen verhelfen konnte, aber nach allem, was du inzwischen erfahren hast, keine echte Überraschung. Und vielleicht hat sie es erst nach der Hochzeit ihrer Tochter herausgefunden. Im Übrigen bedeuten all diese Notizen noch nicht, dass sie sie genutzthat. Dein zweifelnder Blick sagt mir, dass du das nicht glaubst, zugegeben, ich auch nicht. Du musst es Wagner sagen, Rosina. Dies ist etwas anderes als die Sache mit dem Wirt. Die fremde Tote starb nur an einem Fieber, nicht weil jemand absichtlich einen schweren Eichenklotz auf sie fallen ließ. Was hast du gerade in deinen Wein gemurmelt?»
«Taubner», sagte Rosina und hielt ihm das geleerte Glas entgegen, damit er es neu fülle. «In der Kirche hat Juliane erzählt, Taubner habe vor einigen Jahren in Sankt Petersburg gearbeitet. Im Winterpalais. Sie schien stolz darauf. Sie hat auch gesagt, dieser Lassner lebe schon lange in Sankt Petersburg. Vielleicht kennen die beiden Männer sich und hatten beide Grund, ein frühes Ende Sibylla van Keupens zu wünschen. Der eine aus Rache und verletztem Stolz, der andere, weil sie ihn in der Hand hatte.»
«Und ihren Besitz wollte, vergiss das nicht. Aber beiden konnte ihr Tod nur nutzen, wenn sie auch diese Mappe bekommen hätten.»
«Nicht beiden, Magnus, nur Lassner. Und Taubner geht es vielleicht gar nicht um Julianes Hand und liebendes Herz, sondern um Zugang zu ihrem Haus, damit er die verdammte Mappe suchen und finden kann. Womöglich bezahlt Lassner ihn gut für diesen Dienst.»
Die Tür flog auf, und mit einem Schwall winterlicher Kälte stürmte Tobias herein. Er empfand sein neues Leben als paradiesisch und war überzeugt, keines der anderen in Kost gegebenen Kinder habe so viel Glück wie er. Wahrscheinlich hatte er damit recht. Nur wenig gemächlicher folgte ihm eine überaus frohgestimmte Pauline.
Die Fortsetzung von Rosinas und Magnus’ Überlegungen wurde auf morgen verschoben. ‹Im hellen Tageslicht›, dachte Rosina, ‹sieht alles anders aus. Und klarer.› Unddann kehrte hoffentlich auch der Gedanke zurück, der just, als Tobi hereinkam, hatte Gestalt annehmen und ihr noch eine Brücke zeigen wollen.
Es dämmerte schon, als sie erwachte. Sie versuchte sich an die wirren Bilder ihres Traumes zu erinnern, sie blieben wirr und wurden schnell von der Erinnerung an den vergangenen Tag verdrängt. Sie konnte nur schwer glauben, dass Juliane van Keupen, von der sie nun wusste, dass sie gewiss nicht dumm war, den Inhalt der Mappe tatsächlich nur mit ihrer Hilfe verstanden hatte. Auch ohne die Geschichte des von Sibylla erpressten Mannes, die Wagner von Madam Augusta erfahren hatte, hätte sie, Rosina, gleich begriffen, worum es ging. Und warum hatte Juliane gerade ihr diese Papiere gezeigt? Sie hatte niemanden, dem sie vertrauen konnte, und
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