Mit dem Teufel im Bunde
der freundliche, stets hilfreiche Mann, war nun verkörperte Gefahr.
Schwer atmend blieb sie im oberen Oktogon stehen. Und nun? Wohin? Hier gab es keine Türen mehr, keine Riegel. Die Schläge gegen die Tür zur Treppe drangen kaum hörbar und doch unüberhörbar herauf, wie lange mochte der Riegel noch halten? Eine Minute? Zwei?
Eine Tür gab es doch, sie führte in eine endgültige Falle, aber darin steckte sie schon jetzt, in einer Falle. Und von dort konnte sie schreien, dort trennten sie keine festverschlossenen Fenster vom Rest der Welt, irgendjemand würde sie hören.
Nun gab es keine Treppe mehr, nur noch die Leiter. Sie zitterte und schwang bei jedem Schritt. Als eine Sprosse nachgab, kurz bevor sie oben war, rutschte sie zurück, stieg weiter auf und stemmte sich endlich gegen die schwere Falltür zur ersten Laterne. Sie schwang sich mit letzter Kraft auf die Plattform, schloss die Falltür und ließ sich darauffallen.
Der Sturm tobte ungehindert zwischen den Säulen und den Zwischenräumen in der Brüstung hindurch, zerrte an ihrem Haar, ihren Kleidern, an ihrem ganzen Körper, stünde sie an der Brüstung, würde er sie fortreißen wie ein Blatt. Sie musste um Hilfe schreien, gleich, sofort, es konnten doch nicht alle schlafen, irgendjemand musste sie hören, aber ihr Atem ging zu schwer, aus ihrer Kehle kam nur ein erstickter Ton. Sie krümmte sich zusammen, ihre Hände umklammerten die eisernen Griffe der Falltür, als könnten sie sie fester nach unten drücken und schwerer machen. Er würde es nicht schaffen. Er konnte niemals dieKraft haben, von der Leiter die mit ihrem Gewicht beschwerte Falltür aufzustoßen. Einen anderen Zugang gab es nicht. Sie saß in der Falle, aber es war eine sichere Falle. Bis jemand ihr Schreien hörte, bis er aufgab und verschwand.
Vielleicht übersah er die fehlende Sprosse in der Leiter, fiel hinab auf den Steinboden und brach sich den Hals.
Er war nicht gefallen, er war da und drückte gegen die Tür. Endlich konnte sie schreien, mit aller Kraft, und der Sturm nahm ihren Schrei, wirbelte ihn hoch über den Dächern und Straßen davon, über den Fluss, über das Land, irgendwohin, wo ihn niemand hörte.
***
Magnus fluchte. Der Ritt war ein Kampf gewesen. Irgendwo nahe den Reeperbahnen hatte ihm eine Bö seinen Dreispitz weggerissen, inzwischen auch Band und Beutel von seinem Haar gezerrt. Er hatte überlegt, bei Rosinas alten Freundinnen Matti und Lies anzuklopfen, Mattis Haus war nah, doch er wollte die beiden Frauen weder erschrecken noch wecken. Er hatte auch überlegt, für sich und sein Pferd bei der Hütte der Reeper einen Unterschlupf zu suchen und erst im Morgengrauen weiterzureiten, doch es war nicht weit, er sah schon das Tor. Sie würde sich nur sorgen, und er wollte nach Hause. Immerhin hatte der Fuchs sich brav gehalten. Selbst als ganz in seiner Nähe ein Ast herunterkrachte, hatte er sich schnell wieder beruhigen lassen.
Nun stand Magnus endlich vor dem Millerntor und hatte allen Grund zu fluchen. Es war längst noch nicht Mitternacht, doch nicht nur der Schlagbaum war heruntergelassen, auch die Zugbrücke war schon hochgezogen. Was dachten sich diese Kerle von Wächtern? Dass bei diesemWetter niemand so spät unterwegs sei, sie sich faul aufs Ohr legen und ihre Pflichten vergessen durften? Sosehr er gegen den Sturm anschrie, nichts rührte sich. Als er begriff, dass niemand ihn hören würde, drückte er seinem Pferd die Fersen in die Flanken.
«Weiter, Füchschen», rief er und lenkte es auf den im weiten Zickzack entlang dem Wassergraben verlaufenden Weg nach Norden, «komm weiter. So leicht lassen wir uns nicht aussperren.»
***
Er hatte eingesehen, dass er die Falltür nicht hochstemmen konnte, und aufgegeben. Bei seinem letzten, dem dritten Versuch war es ihm fast gelungen. Sie spürte ihre Finger, die noch immer die Eisengriffe der Falltür umklammert hielten, nicht mehr, auch nicht ihre Knie, die sie mit aller Kraft gegen das Holz stemmte. Sie löste eine Hand, dann die andere, drehte die steifen Handgelenke, beugte und streckte die Finger – und fühlte sich mit einem Ruck hochgestoßen und umgeworfen. Ein stechender Schmerz durchfuhr vom Ellbogen ihren Arm, sie nahm ihn kaum wahr. Sie starrte auf die sich hebende Falltür, sah sie ganz aufschwingen und auf den Boden schlagen, sah Zacharias Meinerts Gesicht auftauchen, seinen Oberkörper, sah ihn sich auf die Plattform schieben, hörte den stumpfen Knall, als die Tür sich schloss,
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