Mit dem Teufel im Bunde
gesagt.»
«Zu den Bocholts, sagt Ihr. Ist deren Kontor nicht am Grimm? Da führte Euch der Weg direkt an Sankt Katharinen vorbei», stellte er auf Johns Nicken fest. «Ihr habt nicht mal eben in die Kirche gesehen?»
«Nein, das wollte sie doch nicht. Ich hätte nie …» Plötzlich weiteten sich seine Augen, sein Gesicht rötete sich, und er sackte zusammen wie eine prallgefüllte Schweinsblase, in die jemand eine Nadel gestochen hatte. «Nein», flüsterte er, «ich meine, es war nur ganz kurz. Auf dem Rückweg und nur ganz kurz. Sie hat es nicht bemerkt. Sie saß mit gesenktem Kopf vor dem Epitaph, und ich habe nur von der Turmhalle um die Ecke geguckt. Dann bin ich gleich wieder gegangen, sie durfte mich doch nicht bemerken. Ich wollte nur mal sehen, mal sehen …»
«Ja? Mal sehen? Was wolltet Ihr denn nur mal sehen?»
«Ich wollte sie im Gebet sehen», flüsterte John, seine Augen füllten sich mit Tränen der Ergriffenheit. «Sie war eine so feine Dame, und ich dachte, es muss ein erhebender Anblick sein. Eine Erbauung der Seele, wenn Ihr versteht, was ich meine. Edle Schönheit und demütige Frömmigkeit, im Schein der Kerzen, ja, das erbaut die Seele.»
Wagner fand sich sehr geduldig. John Wessing, das warklar, war ein Schwärmer, ein jugendliches Gemüt, angesteckt von dieser Empfindsamkeit, die bei zarten jungen Damen reizvoll sein mochte. Dass sich neuerdings auch junge Herren darin ergingen, sogar Handelslehrlinge, bei denen man einen kühlen Verstand erwarten durfte, fand er mehr als unpassend. Besonders, da sich Wessings Schwärmerei auf eine Dame bezog, die doppelt so alt war wie er. Wohin sollte das führen? Er hatte nun genug von diesem Träumer. Trotzdem musste die nächste Frage gestellt werden: «Und da hat sie noch gelebt?»
«Natürlich hat Madam noch gelebt! Glaubt Ihr, ich wäre wieder gegangen, wenn es anders gewesen wäre?» In Wessings Gesicht stand reine Empörung. «Ihr denkt doch nicht etwa,
ich
wäre auf die Empore gestiegen? Das könnt Ihr nicht glauben. Das ist absurd. Völlig absurd. Ich weiß nicht, wie es nun mit meiner Lehre weitergehen wird und dann mit der Academie, und Ihr kommt auf solche Ideen?»
«Solche Ideen sind mein Beruf, junger Herr», knurrte Wagner. Doch ob er wollte oder nicht und obwohl das Erschrecken bei der Frage nach dem Blick in die Kirche ein bisschen zu heftig ausgefallen war, überzeugte ihn John Wessings Empörung. Fürs Erste. «Gehen wir mal davon aus, Ihr seid wieder gegangen, und sie hat noch gelebt – noch gelebt», rief Wagner, als der Junge tief Luft holte, «habt Ihr jemanden gesehen? In der Kirche, vor der Kirche, überhaupt auf dem Kirchhof?»
John legte das Kinn in die aufgestützten Hände und bemühte sich um Ruhe. «In der Kirche bestimmt nicht, es war dort schon ziemlich dunkel. Links und rechts des Epitaphs brannten die beiden Kerzen, ihr Licht machte den Rest der Kirche noch dunkler. Und draußen?» Er rutschte auf die Stuhlkante und überlegte. «Die beiden Laternen am Portal der Kirche brannten noch nicht. Mag sein, dassda jemand war, aber ich glaube nicht. Mir ist niemand direkt begegnet. Ich wollte schnell zurück und bin gerannt. Am Nachmittag war ein Brief von meiner Schwester gekommen, ich hatte noch keine Zeit gefunden, ihn zu lesen.»
Das genügte Wagner für heute. Nicht zuletzt, weil sein Hunger allmählich übermächtig wurde. Er hatte sich in den letzten Minuten dabei ertappt, wie er, während der Junge sprach, an einen gesottenen fetten Hering dachte. Einmal hatte er das Knurren seines Magens nur durch vernehmliches Räuspern übertönen können. Es wurde Zeit für eine Pause. Bergstedt, der sich gleich nach Wagners Ankunft in den Speicher verabschiedet und versprochen hatte, bald zurück zu sein, befragte er besser mit vollem Magen.
Er hatte Pech. Gerade als er Wessing entlassen hatte, öffnete sich die Tür von der Diele, und Bergstedt kam eilig herein.
«Es hat ein wenig länger gedauert», sagte er, «nun stehe ich zu Eurer Verfügung, Weddemeister. Leider nicht sehr lange. Es ist gleich Börsenzeit, gerade heute darf ich dort nicht fehlen. Das werdet Ihr verstehen. Wenn Ihr auch kein Kaufmann seid, kennt Ihr gewiss unsere Gepflogenheiten. Der tägliche Gang zur Börse ist unerlässlich. Ihr müsst nach dem ganzen Vormittag in Gesprächen durstig sein, darf ich Euch einen Krug Milch holen lassen?»
Wagner nickte ergeben und setzte sich wieder. Milch war besser als nichts. Und diese Befragung wurde
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