Mit dem Teufel im Bunde
befinde sich beim Speicher auf der anderen Straßenseite, der Kutscher sei den ganzen Nachmittag mit den Eimern hin- und hergelaufen. Doch, bis in den Abend. Es nehme ja viel Zeit in Anspruch, bis so ein Eimer mit dem Rinnsal, das die Leitung nur hergebe, gefüllt sei. Zuletzt, erinnerte sich die Köchin, hatte auch John Wessing dabei geholfen, der ältere Handelslehrling, damit die Arbeit vor der völligen Dunkelheit getan war.
Wäsche mit zum Trinken bestimmtem Wasser zu waschen anstatt mit Fleetwasser, erschien Wagner geradezu unanständig luxuriös. Madam van Keupen musste außerordentlich erfolgreich gewesen sein, wenn sie sich das erlaubt hatte.
Endlich hatte ihn auch Juliane van Keupen empfangen. Sie hatte ihm blass und beherrscht gegenübergesessen, ihn mit ihren hellen Augen angesehen und auf seine Fragen geantwortet. Ungefragt hörte er keinen Satz. Zum Feuer hatte sie nicht mehr zu sagen als die Dienstboten, zum Tod ihrer Schwägerin nur so viel, als dass Madam van Keupen, wie allgemein bekannt, an jedem Dienstagabend zum Grab ihres Mannes gegangen sei. Ja, immer zur gleichen Stunde, Sibyllas Tagesablauf sei sehr geordnet gewesen. Gestern vielleicht ein wenig später als gewöhnlich, eine viertel odereine halbe Stunde. Nein, sie wisse den Grund nicht. Sicher wegen des Brandes, der viel Arbeit nach sich ziehe. Es sei auch sonst hin und wieder vorgekommen, wenn im Kontor noch Unaufschiebbares zu erledigen war. Zum Beispiel ein eiliger Brief oder ein Gespräch von besonderem Belang. Ja, sie sei an diesen Abenden immer ohne Begleitung gegangen, es seien bloß wenige Schritte.
An dieser Stelle hatte Wagner ein Gähnen nur halbwegs unterdrücken können und gehofft, sie werde diese Ungehörigkeit nicht bemerken. Nur der Ausdruck ihrer Augen hatte sich verändert, als amüsiere sie sich über ihren Besucher. Doch das hielt Wagner angesichts der frischen Trauer für unwahrscheinlich. Plötzlich hätte er sie gerne gefragt, wo sie sich aufgehalten habe, während ihre Schwägerin vor dem Epitaph, nun ja, ihr Leben aushauchte. Obwohl er die Formulierung seiner Gedanken sehr gelungen und rücksichtsvoll fand, sprach er sie nicht aus. Es war unmöglich, einer zarten Dame aus bester Familie an einem solchen Tag eine Frage zu stellen, hinter der sie einen ungeheuerlichen Verdacht vermuten musste. Es war sowieso unwahrscheinlich, dass sie einen schweren Eichenklotz über die Brüstung der Empore heben und herunterstoßen könnte. Nach seiner Erfahrung waren Frauen dazu nur stark genug, wenn sie täglich schwere Arbeit verrichteten. Die Köchin und das jüngere der Mädchen hatten versichert, Mademoiselle Juliane sei zu jener Stunde in ihrer Kammer gewesen, sie lese gern und oft. Das musste genügen. Vorerst.
«Ich bin noch zu verwirrt, um klar zu denken, Weddemeister», hatte sie schließlich doch ungefragt gesprochen. Sie hatte nach den richtigen Worten gesucht, bevor sie fortfuhr: «Wir alle fühlen lähmendes Entsetzen. Ich würde Euch gerne mit Hinweisen behilflich sein, aber es gibt nichts, das ich sagen könnte. Es gab niemanden, der sie – ja,der sie gehasst hätte. Das muss man doch, wenn man sich zu einer solchen Tat hinreißen lässt. Es kann nur ein Fremder gewesen sein, ein Unmensch ohne Verstand, der ein Opfer suchte. Irgendein unschuldiges Opfer», hatte sie mit erstickter Stimme wiederholt, «wie Sibylla.»
«Gewiss», log Wagner. Es erstaunte ihn immer wieder, wie wenig die Menschen, die nie Not gelitten hatten, von der wirklichen Welt wussten.
Als er die Treppe hinunterstieg und durch die Diele zum Kontor ging, wischte er sich mit seinem großen blauen Tuch Stirn und Nacken. Ausnahmsweise aus Erleichterung. Er mochte keine Gespräche mit trauernden Hinterbliebenen. Die nötige Mischung aus Rücksicht und misstrauischer Wachsamkeit bereitete ihm stets Unbehagen.
Nun saß er im Kontor. Bergstedt hatte ihm für seine Gespräche den hinteren Raum überlassen, den er von seinem Besuch bei Sibylla van Keupen schon kannte. Das Fenster war noch nicht repariert, aber einbruchsicher verschlossen, der immer noch unangenehme Brandgeruch verdrängte die delikaten Essensdüfte, was ihm und seinem leeren Magen sehr recht war.
Die Gespräche mit dem jüngeren Handelslehrling und den Schreibern waren nicht ergiebiger gewesen als die mit dem Hauspersonal. Tonning – der ältere Schreiber – hatte ausführlich berichtet, wie die blutjunge Sibylla ins Haus gekommen war, so schön und klug, und nie habe sie
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