Mit dem Teufel im Bunde
Zöllner eine übel riechende Pfeife, er kannte sich aus und gab gerne Auskunft. Drei Häuser weiter, ja, dort wo im Souterrain die Schänke
Zum alten Schweden
ihr Domizil habe, gleich neben dem Küfer, und dann drei Treppen hoch.
«Hoffentlich bekommt Ihr ein reichliches Nadelgeld», brummelte er, «was der Kerl da machen lässt, ist nicht für ’n Sechsling zu haben.»
Anders als etliche hier am Hafenrand war das Haus in gutem Zustand. Rosina konnte kein Schild entdecken, das auf die Manufaktur hinwies, so öffnete sie die Tür neben der Schänke und stieg die dahinterliegende Treppe hinauf. In den ersten beiden Stockwerken befanden sich Wohnungen,sie hörte einen Säugling zornig schreien, jemand spielte auf einer Blockflöte, leider sehr jämmerlich, und im zweiten Stockwerk roch es durchdringend nach Fischsuppe, was sie an ihren nagenden Hunger erinnerte. Die Zeit für das zweite Frühstück war längst vorbei, die süße Schokolade bei Jensen fast vergessen.
Im dritten Stockwerk gab ein Schild dem Zöllner recht.
Jacques Joyeux,
stand dort,
Seidenblumen & Kunstgebinde en gros und en détail.
Letzteres war günstig. Wer würde ihr glauben, sie wolle en gros einkaufen?
Rosina lauschte, außer seltsam klopfenden Geräuschen und ein wenig Gemurmel war nichts zu hören, dann drückte sie die Klinke herunter.
Wenn sich auch hier einmal Wohnungen befunden hatten, waren die Wände herausgebrochen worden. Geweißelte Stützbalken waren übrig geblieben, Fenster über die ganze linke Breite des großen Raumes spendeten großzügig Licht. An der gegenüberliegenden Wand standen Regale, deren Fächer mit Schachteln und Stapeln von Bögen bunten Papiers gefüllt waren. Die unregelmäßigen dumpfen Schläge, die sie schon im Korridor gehört hatte, kamen aus einem Raum, der sich hinter der halb geöffneten Tür gegenüber dem Eingang befinden musste. Zehn, vielleicht zwölf Frauen und Mädchen saßen an einem langen Tisch vor der Fensterreihe über ihre Arbeit gebeugt. Drei von ihnen waren noch Kinder, kleine Finger eigneten sich am besten für winzige Blüten wie die des Vergissmeinnichts oder für Knospen. Keine der Arbeiterinnen wirkte verhärmt, kränklich oder auch nur derb wie die anderer Manufakturen, zum Beispiel der Schwarzbach’schen Kattunfabrik oder der Fuhlsbütteler Papiermühle. Vor jeder standen Schachteln und flache Körbchen, in denen ordentlich nach Formen und Farben sortiert ein bunter Flor von Blütenblätternaus Seide, Batist, Samt oder Taft lag. Auf einem weiteren Tisch, der nur zwei Arbeitsplätze bot, sah sie Töpfchen und Gläser mit Farben und feinen Pinseln.
Und dann, auf einem dritten Tisch, entdeckte sie Papierbögen, ein Tablett mit feinen Werkzeugen und Stiften – und einen halbfertigen Fächer. Der Stuhl vor diesem Tisch war leer.
Erst als sie die Tür schloss, wandten sich ihr einige Köpfe zu, nur für kurze neugierige Blicke, und die Gespräche verstummten. Eine der älteren Frauen, ganz in strengen grauen Kattun gekleidet, am mit schmaler weißer Spitze gesäumten Dekolleté eine seidene Fliederblüte, erhob sich. Als die Tür zu den hinteren Räumen aufflog, machte sie schmale Lippen und setzte sich wieder.
Ein Mann im himmelblauen, reich- und farbigbestickten Rock erschien, und Rosina unterdrückte ein Lächeln. Er bekämpfte die Zeichen des beginnenden Alters mit Rouge auf den Wangen und walnussbrauner Farbe an den Schläfen. Sie kannte die Tücken der Schminke – was die Gesichter im Kerzenlicht der Theater lebendiger wirken ließ, machte sie in der Realität nur künstlich und älter.
«Verehrte Madam!», rief er und eilte mit ausgebreiteten Armen näher. «Bon jour, bon jour! Joyeux mein Name, Jacques Joyeux. Ich fühle mich geehrt. Welch reizendes Antlitz, welch elegante Gestalt. Wie geschaffen für meine Kunstwerke, wie geschaffen. Rosen und Maiglöckchen, unbedingt, wenn Ihr mir erlaubt zu empfehlen. Und Veilchen, ja, ein Anstecksträußchen von Veilchen. Mit dem süßen Duft nach der reichen Natur bestäubt. Ein winziges Zweiglein von Apfelblüten dazu? Ja, ein winziges. Niemals zu viel, das schadet nur. Apfelblüten wären allerliebst zu Eurem makellosen Teint.» Im Näherkommen entdeckte er die feine Narbe, die sich von ihrer linken Schläfe bis zumKinn zog, blinzelte und wiederholte umso vehementer, allerdings ohne den leichten französischen Akzent seiner ersten Sätze: «Ja, Euer Teint. Ich sage nur: Milch und Rosen. Womit kann ich dienen, Madam? Ach, was sage
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