Mit dem Wolf in uns leben. Das Beste aus zehn Jahren Wolf Magazin (German Edition)
nicht abgedrückt hatte. Er wusste nur, dass er nicht hätte abdrücken können. Irgendetwas hatte ihn daran gehindert, etwas, das sich seinem Willen scheinbar entzog, sich aber gleichzeitig mit unbändiger Vehemenz gegen seine Entscheidung auflehnte, den rechten Zeigefinger zu krümmen. Seine Fassungslosigkeit steigerte sich in Entsetzen. Aber nicht Entsetzen darüber, dass er – ER – nicht hatte abdrücken können und – wie einige dieser idiotischen Anfänger – beim ersten richtigen Schuss zu einer Salzsäure erstarrt war. Nein, es war vielmehr Entsetzen angesichts einer Frage, die sich nun, einer Kugel gleich, in sein Gehirn bohrte:
Hatte er das wirklich tun wollen?
Der Blick der Wölfin lastete schwerer und schwerer auf ihm, während er sich behutsam aus der Höhle zurückzog und den Rucksack ergriff. Der Revolver rutschte aus seiner Hand und fiel in den Schnee, doch er bemerkte es nicht einmal. Wie in Trance stapfte er durch den Schnee dem fernen Treffpunkt entgegen.
Er reagierte noch nicht einmal auf das waghalsige Manöver, mit dem der Pilot den holprigen Start bereicherte.
„Hey, Sie sehen ja so geknickt aus! Keinen Erfolg gehabt? Wo haben Sie eigentlich ihr Gewehr gelassen?“
Er antwortete nicht.
„Na, Sie hat's ja schwer erwischt. Nun lassen Sie sich mal nicht so hängen, wir können ja morgen wieder raus fliegen und noch mal suchen. Ich bin sicher, Sie kriegen sie bestimmt. Ich habe zwar in der Zwischenzeit noch vier andere hier abgesetzt, die ebenso verrückt nach den Wölfen sind wie Sie, aber ich bin mir sicher, die sind nicht mal halb so gute Jäger. Und wenn es doch nicht klappt: Ich habe heute Morgen gehört, dass siebzig Meilen nordwestlich von hier ebenfalls ein paar Wölfe aufgetaucht sein sollen, obwohl es hier doch weniger zu fressen gibt. Wenn Sie wollen, können wir morgen auch gleich dorthin fliegen. Das ist nicht viel teurer als ...“
Er saß schweigend da und nahm den Redeschwall des Piloten gar nicht wahr. Ein Teil von ihm war noch immer wie betäubt. Doch tief in seinem Inneren erwachte etwas anderes zu neuem Leben, befreite sich langsam aus Unterdrückung und Verbannung, um sich mit bohrenden Fragen wieder in Erinnerung zu bringen. Erst als die Maschine die kleine Bergkette überflog, löste sich sein schweigendes Starren ins Leere für kurze Zeit. Sich plötzlich über etwas bewusst werdend, griff er in den Rucksack zu seinen Füßen und zerrte das Wolfsfell hervor.
„Mann, Sie haben ja doch Erfolg gehabt! Nur eins? Meine Güte, was für ein Fell!!! Warum haben Sie nichts gesagt und machen stattdessen so ein Gesicht? An Ihrer Stelle ... – hey, hey, was tun Sie denn da?!“
Noch ehe der Pilot eingreifen konnte, hatte er auch schon das Seitenfenster geöffnet und das Fell hinaus geworfen. Der Schub des Propellers erfasste es sofort und ließ es scharf am Leitwerk vorbei in die Tiefe segeln, während er die Scheibe wieder schloss. Einen Moment lang ruhte sein Blick noch auf der Stelle, an der sich die Höhle befand. Dann verschwand die Bergkette aus dem Sichtfeld der Cockpitverglasung.
„Mann, sind Sie wahnsinnig?! Das Ding hätte glatt am Höhenruder hängen bleiben können! Und überhaupt: Haben Sie was am Kopf?! So ein Spitzenfell rauszuwerfen! Das finden wir niemals wie...“
Der Blick, den er dem Piloten zuwarf, ließ diesen mitten im Satz abbrechen. Er sah ihn noch einen Augenblick an, schüttelte dann den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Instrumente vor ihm. Seine Gedanken waren nicht schwer zu erraten, und er würde sie wohl kaum für sich behalten.
Doch das war ihm gleich, ebenso gleich wie sein Gewehr, das noch immer an dem Stamm vor der Höhle lehnte. Er würde nie wieder eine Waffe anfassen, das hatte er sich geschworen.
Vielleicht würde dort in ein paar Jahren jemand einen Fünfundvierziger und ein rostiges Präzisionsgewehr finden. Später dann, wenn er mit anderen zusammensaß und trank, würde er davon berichten. Man würde sich kurz anschauen und noch einmal die Geschichte von dem völlig durchgedrehten Kerl zum Besten geben, der stumm vor sich hinstarrend von einer erfolgreichen Jagd zurückkam, um dann das beste Wolfsfell der letzten Jahre aus dem Flugzeug zu werfen. Vielleicht würde der „furchtlose Eddy“ zufällig am Tisch sitzen und lachend einwerfen, dass er ihm damals einen Blick zugeworfen hatte, der ihm fast das Blut in den Adern gefrieren ließ – ausgerechnet ihm, dem ein plötzlicher Fallwind ebenso wenig ausmacht,
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