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Mit der Hoelle haette ich leben koennen

Titel: Mit der Hoelle haette ich leben koennen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Matijevic
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und jetzt setz dich gefälligst in deinen Wagen und mach deinen Job. Immerhin bezahlt dich das deutsche Volk dafür!«
    »Vollidiot«, murmelte ich.
    Außer mir schienen die grausam gemarterten Toten niemanden auch nur annähernd zu berühren. Eine Diskussion über das schlechte Essen im Lager hätte größere Resonanz gefunden als diese verkohlten Leichen. Welche Grausamkeiten hatten diese Männer bereits gesehen, dass sie das hier nicht mal zu einem müden Schulterzucken bewegen konnte?
    Als wir am Nachmittag nach einer äußerst unbequemen Fahrt bei sengender Hitze das Camp erreichten, erfuhren wir, dass es bei uns in der Nähe einen tödlichen Autounfall gegeben hatte.
    Mehr an Information bekamen wir nicht. Das lag vermutlich daran, dass nicht einmal die Führung genauer Bescheid wusste. Der Krankenkraftwagen mit den deutschen Unfallopfern parkte aber bereits vor dem Betreuungszelt.
    Kaum eine Minute später starrte ich auf Leichensäcke mit den sterblichen Überresten zweier Kameraden. Einer der beiden schlimm zugerichteten Toten war mein Kamerad Reinhard. Erst vor drei Tagen hatte er mir stolz ein Bild seiner Frau und seines Sohnes gezeigt.
    Mein Vorgesetzter drehte sich zu mir um und sagte: »Engelchen, wir finden den Ringfinger nicht. Schau du mit deinen schlanken Fingern doch mal nach.«
    Nach eineinhalb Stunden Suche hatte ich den Finger gefunden und dachte ich hätte damit meine Schuldigkeit getan. Ich wandte mich zum Gehen.
    Doch Fehlanzeige!
    »He, Dani, nicht weglaufen!«, rief mir einer meiner Kameraden hinterher. »Wir kriegen den Zinnsarg nicht zugeschweißt. Knie dich mal oben drauf und halt den Deckel zu.«

    Bei den Zinnsärgen der Bundeswehr ist an einem Ende ein Sichtfenster eingebaut, damit man erkennen kann, welcher Soldat im Sarg liegt - denn darin wird das Namensschild am Leichensack gut sichtbar.
    Ich kniete also auf dem Sarg und wusste Reinhards Gesicht unter mir. Zwei Kameraden fingen an, die Enden zuzuschweißen, während ich den Deckel zudrückte - bis ich ein gleißendes Blitzlicht hinter mir wahrnahm.
    »Was soll das?«, rief ich und fuhr herum.
    »Ist doch nur ein Foto«, sagte mein Kamerad.
    Ich stammelte: »Lass das gefälligst.« Zu gern hätte ich ihm eine reingehauen.
    Da wir unsere beiden toten Kameraden nicht im ohnehin schon überfüllten Kühlcontainer der Intensivstation unterbringen konnten, räumten wir alle Getränke aus dem Kühllager des Betreuungszeltes, um Platz für sie zu schaffen.
    Dem Kühlcontainer hängten wir eine Deutschlandflagge um, dann bezogen Kameraden, die die Totenwache hielten, ihre Posten. Gott sei Dank ging dieser Kelch an mir vorüber - als Frau konnte ich keinem Wachdienst zugeteilt werden.
    Der nächste Tag war der Tag von Reinhards Rückkehr nach Deutschland.
    Ein Hubschrauber, ein CH53, war gelandet, der Trompeter begann gerade »Ich hatte einen Kameraden« zu spielen, und wir postierten uns links und rechts vom Container. Soldaten trugen die Särge aus dem Kühlhaus. Unsere Aufgabe bestand darin, zu salutieren, sobald der Sarg auf unserer Höhe war. Aber ich funktionierte nicht mehr:
    Stillgestanden - was war das noch?
    Salutieren - wie ging das?
    Ich tat es den anderen nach, doch war mir das Salutieren nie zuvor schwerer gefallen.

    Gedanken über Gedanken bedrängten mich. Und Fragen über Fragen.
    Was wird Reinhards Frau ihrem Sohn später einmal erzählen? Dein Vater ist gestorben, weil er helfen wollte, Brunnen zu bauen?
    Am Abend saß ich mit den Kameraden an einem Tisch und fragte weiter: Hatte jemand die Musik absichtlich voll aufgedreht? Um uns abzulenken? Weil wir ja im Grunde wussten, dass wir emotional tot waren?
    An jenem Abend verloren wir uns im Alkoholrausch, wobei jeder von uns vermied, von den Särgen zu reden. Wir alle waren unwiederbringlich verletzt - an der Seele.
    Ich trank sicher fünfzehn Dosen Bier, gemeinsam mit den Menschen, die Reinhard eingesargt, gewaschen und aufgebahrt hatten. Der Rausch hatte ein Gutes: Mein Verstand setzte aus.
    »Die Bundeswehr besteht doch darauf, dass wir Sport treiben, sportlich sind wie Reinhard«, witzelte einer meiner Kameraden - derjenige, der versucht hatte, Reinhards starren Körper in den Sarg zu bringen. »Und dann stellt man keine Zinnsärge bereit, in die ein Mann mit einem breiten Kreuz hineinpasst.«
    An diesem Abend wünschte ich mir, dass es mich getroffen hätte. Ich war kinderlos, hatte keine eigene Familie, und die, die ich zurückgelassen hätte, würden meinen Verlust

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