Mit der Hoelle haette ich leben koennen
äußerlich unbeschadet - wiederzusehen. Von der ersten Minute an war es, als wären wir nie getrennt gewesen. Wir redeten die ganze Nacht lang - über den Einsatz. Wir mussten nichts erklären, nichts bezeugen, nichts beschönigen. Wir sprachen eine Sprache, die ein Zivilist nie verstehen könnte. Zusammen lachten, tranken und weinten wir. In diesen gemeinsamen Stunden kamen schreckliche Erlebnisse wieder hoch, so dass wir alle irgendwann total aufgewühlt waren.
Aber sosehr wir den gemeinsamen Abend auch genossen, wir trafen uns zum letzten Mal.
Doch das Treffen wirkte nach. Zu Hause, ich hatte mir gerade etwas zu essen zubereitet, fiel mir die Geschichte über Ludger ein, die ich, während die Kameraden sie erzählten, nicht an mich herangelassen hatte. Nun traf sie mich heftig. Ans Essen war nicht mehr zu denken.
Ludger war im November 1999 gemeinsam mit mir in Köln-Wahn gelandet. Ich hatte noch mitbekommen, wie er sich wunderte, dass ihn zwar seine Eltern am Flughafen erwarteten, aber nicht seine Verlobte. Erst zu Hause gestanden sie ihm, dass die Verlobte, die mit seinen Zwillingen schwanger war und die er nach dem Einsatz hatte heiraten wollen, bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Auch die Zwillinge überlebten nicht.
Ludger nahm sich das Leben.
Ich konnte es nicht fassen. Wieso Ludger, dachte ich, der zuckersüße, lebensfrohe Ludger?
Ich starrte auf den vollen Teller vor mir. Mein Gehirn lief auf Hochtouren, bis ich schließlich zu einer Erkenntnis kam:
Soldaten dachten anders als Zivilisten.
Natürlich würde auch ein Zivilist nach einem derart tragischen Verlust in eine tiefe Trauer stürzen, aus der er sich nur schwer wieder würde befreien können. Aber die meisten Menschen würden irgendwann doch ins Leben zurückfinden und vielleicht sogar den Satz bemühen: Die Zeit heilt alle Wunden. Die wenigsten, dachte ich, würden sich deswegen das Leben nehmen.
Ein Soldat mit Einsatzerfahrung in einem Krisengebiet, der, um mich politisch korrekt auszudrücken, »kriegsähnliche Zustände« erlebt hat, sähe das anders. Ich jedenfalls konnte Ludgers Entscheidung nachvollziehen, hätte ihm am liebsten zugerufen: Ich versteh dich, Kamerad. Wenn du sagst, du willst deiner Frau nachgehen, dann geh.
Das soll jetzt nicht heißen, dass alle Kriegsheimkehrer grundsätzlich suizidgefährdet sind. Allerdings verschiebt sich das Verhältnis zum Tod ganz erheblich, es relativiert sich, wenn man einmal gesehen hat, was Krieg bei anderen Menschen und auch bei einem selbst anrichtet.
Genug vom Tod!
Ich atmete tief durch, stellte den Teller in die Spüle und beschloss, ein wenig spazieren zu gehen, um auf andere Gedanken zu kommen. Doch während ich über die Wiesen und Felder lief, kehrte ich immer wieder zu den Geschichten und Themen zurück, um die es beim Treffen der Kameraden gegangen war.
Das Besondere an uns Soldaten ist, dass wir uns einander nie erklären müssen - egal ob einer Soldat im Kosovo war, in Afghanistan oder im Zweiten Weltkrieg. Irgendjemand hatte bei unserem Treffen den klugen Satz wiederholt, den mal einer unserer Vorgesetzten im Einsatz gesagt hatte: »Ich erkenne meine Schweine am Gang.« Erst jetzt verstand ich, was er damit gemeint hatte.
All jenen, die sich von mir abgewendet haben, weil sie mit mir und meiner Situation überfordert waren, sei hiermit gesagt: Seid beruhigt, es ist nicht euer Krieg. Es ist der meine. Jeden Tag aufs Neue. Wann immer ich die Augen schließe. Ihr könnt ihn nicht für mich gewinnen. Das sollt ihr auch gar nicht! Lasst bitte nur nicht zu, dass diese verdammten achtundachtzig Tage nicht nur die Daniela von früher, sondern auch unsere Beziehung zueinander für immer zerstören!
»Ich such mein Glück, muss aufrecht weitergehen und nicht gebückt, nur noch ein klitzekleines Stück …« - Diese Zeile aus einem Song von Moses Pelham gibt euch die Legitimation, die Wunden verheilen zu lassen, die dieser Einsatz nicht nur bei mir, sondern auch bei euch hinterlassen hat … Es ist wichtig, dass nicht nur ich genese!
Der folgende Text von Janina Fischer, einer lieben Freundin von mir, veranschaulicht gut, weswegen es so schwer ist, jemanden in meiner Situation richtig zu verstehen:
Krise
Dieses Gefühl,
keine Kraft mehr zu haben,
dagegen anzukämpfen.
Lähmende Angst
macht es unmöglich,
aufzustehen,
weiterzumachen
oder neu anzufangen.
Die eigenen vier Wände
als Gefängnis -
und als Schutzwall.
Hier sieht mich niemand,
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