Mit der Zeit
geweckt. Bei mir ist es jedenfalls so.«
»Sie wollen damit sagen, wie kommt ein guter Soldat vom Schlage Zanders an eine so undurchsichtige Aufgabe, für Leute wie den Herrscher Geschäfte zu tätigen?«
»Großer Gott, nein! Gute Soldaten geraten in alle möglichen undurchsichtigen Situationen. Nehmen Sie nur mich und meinen Job. Der gute Soldat Zander stand in einem Befreiungskrieg auf der Seite des Siegers und schloß nützliche Freundschaften. Der Teil ist unproblematisch. Nein, was ich – jedenfalls am Anfang – nicht verstehen konnte, war, wie er überhaupt erst zu einem guten Soldaten geworden ist. Von der Abwehr zum Führungsoffizier in der Legion ist es ein weiter Weg. Wie hat er den bewältigt? Und warum ?«
Ohne dabei etwas zu denken, wiederholte ich die Erklärung, die mir mein Freund von der Presseagentur damals gegeben hatte, als ich Zanders Brief erhielt. »Er war nie etwas anderes als Soldat gewesen.«
Der General starrte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. »Also in der Abwehr lernte er bestimmt nicht, was ein Soldat ist.«
»Nach meinen Quellen erhielt er eine Spezialausbildung bei der Infanterie.«
»Spezialausbildung bei der Infanterie, daß ich nicht lache. Es war eine jener Stiefelglanz-Einheiten, die sich auf den zeremoniellen Drill für Ehrengarden spezialisierten. Eine dieser Kasernen, wo sie in schwarzen Kalbslederstiefeln umherstolzierten. Es ist leicht zu verstehen, warum er dort als geeigneter Mann angesehen wurde. Er ist ein baltischer Deutscher, der seine Loyalität zu Führer und Vaterland dadurch nachwies, daß er vor den Sowjets floh, um sich dem glorreichen Kampf anzuschließen. Er ist zweifellos auch ein gutaussehender Bursche mit der richtigen arischen Hautfarbe. Aber zum Soldaten wird man in der Umgebung nicht. Schließlich fanden sie natürlich eine bessere Verwendung für ihn und seine Sprachen. Da bildeten sie ihn dann zum Funker aus. Als er zur Abwehr kam, gaben sie ihm die Aufgabe, feindliche Funksprüche abzuhören. Später wurde er bei Verhören der Kriegsgefangenen eingesetzt. Das ist zwar nicht gerade ein Schreibtischjob, aber fraglos einer, den man im Sitzen ausübt. Soll ich Ihnen meine Theorie über seine Verwandlung zum Soldaten erzählen? Vielleicht können Sie ihn bei Gelegenheit sogar selber danach fragen.«
»Er ist kein Mann, der gern über sich selber redet oder Fragen beantwortet.«
»Wenn meine Theorie stimmt, würde es ihm nicht das geringste ausmachen, über den russischen Winter von vierundvierzig und fünfundvierzig zu reden. Sie glauben mir nicht? Überlegen Sie mal. Die Wehrmacht zog sich überall an ihrer nördlichen russischen Front nach Polen zurück. Die Russen waren bereits in Ostpreußen. Die Deutschen machten keine Gefangenen mehr, die man verhören mußte; was machte also Zander? Vergessen Sie nicht, er ist noch jung, gerade Anfang Zwanzig, und er ist Unteroffizier mit festem Rang. Nach drei Jahren in seinem Job und an dieser Front war er wohl Feldwebel, würde ich sagen. Nun fehlte es dem deutschen Heer inzwischen überall an Verstärkung, und die Ersatztruppen, die man ihnen schickte, waren von zweifelhafter Qualität. Die einen waren zu alt, die anderen zu jung, da waren die zurückgekehrten Verwundeten, müde und demoralisierte Männer. Man darf auch nicht vergessen, daß die russische Front mittlerweile viele Strafversetzte aufzunehmen hatte, Einheiten, denen Fehlverhalten oder mangelnde Kriegsbegeisterung an anderen Fronten vorgeworfen wurde. In dieser Lage taten die deutschen Befehlshaber das, was Befehlshaber immer tun, wenn sie dringend kampffähige Truppen benötigen: sie holen sich die Jungen und die Tauglichen aus Spezialisteneinheiten, Fernmeldetruppen und nichtkämpfenden Abteilungen und setzen sie als Verstärkungen ein, gewöhnlich zum Auffüllen gemischter Ersatztruppen aus alten und neuen Soldaten, die noch nicht die Zeit gehabt haben, einander kennenzulernen. Wissen Sie, was ich meine?«
»Ich weiß.«
»Dann werden Sie bestimmt auch wissen, was ein langer Rückzug bedeutet. Das müssen Sie als Kriegsberichterstatter mitbekommen haben. Ein Rückzug bringt das Beste und das Schlimmste in den Menschen zum Vorschein. Und paradoxerweise ist das eine Situation, in der manche Männer ihre Führerqualitäten entdecken. Ich meine nicht, daß sie einen Wettlauf in die Sicherheit anführen, sondern ich rede von ihrer Fähigkeit, aus einer überstürzten Flucht einen geordneten Rückzug mit Nachhutgefechten zu
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