Mit dir an meiner Seite
sein. Sie war zwar nicht einverstanden mit dem, was er getan hatte. Aber dadurch, dass Will die drei fertiggemacht hatte, fühlte sie sich ein wenig sicherer, wenn sie mit ihm zusammen war.
Will stand sehr unter Stress. Er war davon überzeugt, dass Marcus den Vorfall melden würde und dass jederzeit die Polizei bei ihm vor der Tür stehen konnte. Ronnie spürte, dass ihn noch etwas anderes quälte, etwas, worüber er anscheinend nicht sprechen wollte. Aus irgendeinem Grund redeten er und Scott nicht mehr miteinander - hatte diese Funkstille vielleicht etwas mit Wills bedrückter Stimmung zu tun?
Und dann war da natürlich noch seine Familie. Vor allem Wills Mutter. Seit der Hochzeit hatte Ronnie sie zweimal gesehen: einmal, als sie im Truck vor der Villa wartete, während Will schnell hochrannte, um sich ein frisches Hemd zu holen, und einmal in einem Restaurant in Wilmington, als Will sie zum Essen ausführte. Sie hatten eben an ihrem Tisch Platz genommen, da kam Susan mit ein paar Freundinnen herein. Ronnie sah sie gleich, aber Will blickte gerade in die andere Richtung. Bei beiden Anlässen hatte Susan betont weggeschaut.
Ronnie hatte Will von diesen Begegnungen nichts erzählt. Er war viel zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. Aber sie hatte den Eindruck, dass Susan sie sogar für die Tragödie, die Blaze zugestoßen war, persönlich verantwortlich machte.
Jetzt stand sie in ihrem und Jonahs Schlafzimmer und betrachtete durchs Fenster Wills schlafende Gestalt draußen neben dem Schildkrötennest. Weil bei einigen anderen Nestern die Jungen schon geschlüpft waren, hatten die Leute vom Aquarium am Nachmittag den Drahtkorb entfernt, und die Eier waren wieder vollständig ungeschützt. Sowohl Ronnie als auch Will wollten sie über Nacht nicht ohne Aufsicht lassen, und weil Will sowieso immer weniger Zeit zu Hause verbrachte, hatte er sich angeboten, die Wache zu übernehmen.
Ronnie mochte nicht über die problematischen neuen Entwicklungen grübeln. Aber in Gedanken ging sie immer wieder die Ereignisse der letzten Wochen durch. Sie konnte sich kaum an das Mädchen erinnern, das sie bei ihrer Ankunft gewesen war. Und der Sommer war noch nicht vorüber. In ein paar Tagen wurde sie achtzehn. Dann hatten sie und Will noch ein gemeinsames Wochenende vor sich, ehe Will aufs College musste. Drei Tage später stand ihr nächster Gerichtstermin an, und anschließend fuhr sie nach New York. So viel war schon geschehen - und so viel war noch zu tun.
Ratlos schüttelte sie den Kopf. Wer war sie? Wessen Leben führte sie? Und wo würde das Leben sie hinführen?
Irgendwie fühlte sich nichts real an - und gleichzeitig erschien ihr alles viel realer als das, was sie früher erlebt hatte. Ihre Liebe zu Will, ihre wachsende Zuneigung zu ihrem Vater - und vor allem, dass ihr Leben in einem anderen Rhythmus verlief. Manchmal kam es ihr vor, als würden diese Dinge gar nicht ihr passieren, sondern einer anderen Person, die sie erst nach und nach kennenlernte. Sie hätte niemals gedacht, dass ein verschlafenes Kaff irgendwo in den Südstaaten, eine kleine Stadt am Meer, mit viel mehr ... Leben und Dramatik erfüllt sein könnte als Manhattan.
Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Von ein paar Ausnahmen abgesehen, war es wirklich gar nicht so schlecht hier. Sie schlief in einem ruhigen Zimmer, das sie mit ihrem Bruder teilte, nur durch Glas und Sand getrennt von dem jungen Mann, den sie liebte. Und der ihre Liebe erwiderte. Konnte es im Leben etwas Schöneres geben? Und trotz allem, was geschehen war, oder vielleicht gerade deswegen, wusste sie, dass sie diesen gemeinsamen Sommer nie vergessen würde, niemals, gleichgültig, was die Zukunft für sie bereithielt.
Sie spürte, wie sie in den Schlaf hinüberglitt. Ihr letzter bewusster Gedanke war: Es kommt noch viel, viel mehr.
Dieses Gefühl war oft wie eine Art böse Vorahnung, aber Ronnie wusste, in ihrem Fall konnte das nicht stimmen - nach allem, was sie und Will bereits durchgemacht hatten.
Als sie aufwachte, war sie trotzdem sehr unruhig. Wie immer dachte sie als Erstes daran, dass mit jedem Tag der Abschied von Will näher rückte.
Doch während sie dalag, fragte sie sich, was dieses unangenehme Gefühl sonst noch bedeuten könnte. Und plötzlich wurde ihr klar, dass es nicht nur der bevorstehende Abschied war. Für Will begann nächste Woche das Studium. Auch Kayla ging dann aufs College. Während sie, Ronnie, keine Ahnung hatte, was sie erwartete.
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