Mit dir an meiner Seite
Ja, sie wurde achtzehn, und ja, sie musste irgendwie mit dem Urteilsspruch des Gerichts fertigwerden. Aber was dann? Würde sie bis in alle Ewigkeit bei Mom bleiben? Sollte sie sich um einen Job bei Starbucks bewerben? Einen Moment lang sah sie vor ihrem inneren Auge, wie sie mit einer Schaufel in der Hand im Zoo hinter den Elefanten herspazierte.
Zum ersten Mal blickte sie der Zukunft direkt ins Auge. Irgendwie war sie immer davon überzeugt gewesen, dass alles gut gehen würde, welche Entscheidungen auch immer sie traf. Und eine Weile lang war es bestimmt auch noch so, das wusste sie. Andererseits - wollte sie noch bei ihrer Mutter wohnen, wenn sie neunzehn war? Oder einundzwanzig? Oder womöglich sogar noch mit fünfundzwanzig?
Aber wie konnte jemand genug Geld verdienen und eine Wohnung in Manhattan bezahlen, ohne einen College-Abschluss?
Sie hatte nicht die geringste Ahnung. Nur eines wusste sie mit Sicherheit: Sie wollte nicht, dass der Sommer zu Ende ging. Sie war noch nicht bereit, nach Hause zu fahren. Sie war auch nicht bereit, sich vorzustellen, dass Will demnächst über die grünen Rasenflächen von Vanderbilt flanierte, begleitet von Kommilitoninnen in Cheerleader-Outfits. Nein, daran wollte sie lieber gar nicht denken.
»Ist alles okay, Ronnie? Du bist so still«, sagte Will.
»Entschuldige. Mir gehen so viele Sachen durch den Kopf.«
Sie saßen am Pier, aßen Bagels und tranken Kaffee, den sie sich unterwegs gekauft hatten. Normalerweise versammelten sich hier immer die Angler, aber heute waren sie ganz für sich. Eine angenehme Überraschung, denn Will hatte den ganzen Tag frei.
»Hast du dir noch mal überlegt, was du gern machen würdest?«
»Alles - solange es nichts mit Elefanten und Schaufeln zu tun hat.«
Er legte seinen Bagel auf den Styroporbecher. »Würde ich verstehen, was du meinst, wenn du es mir erklärst?«
»Wahrscheinlich nicht.« Sie zog eine Grimasse.
»Okay.« Er nickte mit gespielter Ergebenheit. »Aber ich wüsste trotzdem gern, was du morgen unternehmen möchtest. Du hast Geburtstag, falls du das vergessen haben solltest.«
Ronnie zuckte die Achseln. »Es muss nichts Besonderes sein.«
»Aber du wirst achtzehn! Das ist eine große Sache, ob du willst oder nicht. Von morgen an bist du volljährig.«
Na super, dachte sie. Wieder etwas, was sie daran erinnerte, dass die Zeit knapp wurde und sie sich endlich entscheiden musste, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Will musste etwas gemerkt haben, denn er legte ihr zärtlich die Hand aufs Knie.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein. Keine Ahnung - ich fühle mich heute irgendwie komisch.«
In der Ferne sprang ein Schwärm Delfine hinter der Brandung durchs Wasser. Als Ronnie dieses Schauspiel das erste Mal gesehen hatte, war sie total begeistert gewesen. Inzwischen waren die Tiere für sie fast ein normaler Bestandteil der Szenerie geworden. Trotzdem würde sie das alles in New York vermissen. Was sie dann wohl machte? Vielleicht schaute sie sich nur noch Zeichentrickfilme im Fernsehen an, wie Jonah. Am besten mit dem Kopf nach unten.
»Wie war's, wenn ich dich zum Essen einlade?«
Nein, keine Zeichentrickfilme. Eher Gameboy. »Von mir aus.«
»Wir könnten auch tanzen gehen.«
Oder womöglich GuitarHao. Jonah spielte dieses Computerspiel stundenlang. Rick war übrigens auch süchtig danach gewesen. Fast alle Leute, die sonst nichts machten, spielten GuitarHao. »Klingt gut.«
»Wir können uns natürlich auch die Gesichter bunt anmalen und irgendwelche Inkagötter beschwören.«
Dann war sie süchtig nach diesen blöden Spielen und wohnte immer noch zu Hause, wenn Jonah in acht Jahren aufs College ging. »Ich finde alles gut.«
Wills Lachen holte sie zurück in die Gegenwart. »Hast du etwas gesagt?«, fragte sie.
»Ich habe von deinem Geburtstag gesprochen, weil ich gern wüsste, was du tun möchtest. Aber du bist offensichtlich mit deinen Gedanken ganz woanders. Am Montag gehe ich von hier fort, und ich möchte noch etwas Schönes mit dir machen.«
Ronnie schaute zum Bungalow ihres Vaters, und wieder einmal fiel ihr auf, wie wenig dieses Haus hierherpasste. Sie überlegte. »Soll ich dir sagen, was ich am allerallerliebsten tun möchte?«
Es passierte nicht an ihrem Geburtstag, sondern zwei Abende später, am Freitag, dem 22. August. Die Mitarbeiter vom Aquarium kannten sich in diesen Dingen wirklich sehr gut aus. Schon am Nachmittag begannen sie, das Gebiet so vorzubereiten, dass die
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