Mit dir ins große Glueck
Zweimal hatte er bereits in der Galerie angerufen, doch jedesmal wenn er seinen Namen nannte, hatte es irgendeine Störung in der Leitung gegeben, und die Verbindung war wieder unterbrochen worden. Dabei wollte er Melanie unbedingt wiedersehen, und auch nach Micky empfand er große Sehnsucht. Deshalb machte er sich an diesem Nachmittag ohne Anmeldung auf den Weg zu dem herrlichen Anwesen, das ihm in der letzten Zeit fast schon zum Zuhause geworden war.
Er läutete. Trevors Bellen war beim ersten Mal die einzige Reaktion. Deshalb läutete er erneut.
Endlich wurde ganz vorsichtig von innen die Tür geöffnet, doch nur ein kleines Stückchen, denn die Sicherheitskette war vorgelegt. Dann entdeckte Gerd das Kindergesicht, das ihn verlegen musterte.
"Was willst du?" fragte Micky.
"Was ist denn mit dir los, Michaela?" Gerd verstand die Welt nicht mehr. "Sag bloß, du hast Angst vor mir. Was ist denn passiert mit euch beiden in den letzten Tagen?"
"Wo bist du gewesen? Wir hätten dich so dringend gebraucht."
"Lass mich hinein, Micky, ich kann dir alles erklären."
"Brauche ich nicht mehr", kam die barsche Antwort der Neunjährigen. "Geh zu deiner Freundin zurück, wir kommen auch allein zurecht."
"Was soll das, Micky? Ich habe keine Freundin. Ist die Mami nicht zu Hause?"
Das Mädchen schüttelte nur den Kopf, sagte nichts.
"Lass mich herein, Micky. Wir werden dann gemeinsam auf deine Mutter warten. Oder möchtest du lieber mit mir kommen, dass wir sie in der Galerie abholen?"
"Nein." Das Mädchen schickte sich an, die Tür wieder zuzumachen. "Ich will nicht reden mit dir. Du hast uns enttäuscht, und die Mami ist wieder traurig. Du bist schuld daran."
"Was redest du nur für einen Unsinn, Micky. Komm heraus, und lass uns wie zwei vernünftige Menschen miteinander reden. Doch nicht zwischen Tür und Angel, wo die ganzen Nachbarn mithören können."
"Wir haben keine Nachbarn, zumindest keine, die uns hören können."
Insgeheim musste sich Gerd eingestehen, dass Micky ihn im Augenblick mit Worten geschlagen hatte. "Und was schlägst du vor, das ich tun soll?"
"Du sollst gehen."
Gerd war der Verzweiflung nahe. "Sag doch, was los ist", bat er. "Irgendetwas muss passiert sein während meiner Abwesenheit. Ich konnte mich wirklich nicht früher melden, hatte eine Menge im Geschäft aufzuarbeiten. Und wenn ich nach Hause kam, war es bereits so spät in der Nacht und ich war so todmüde, dass ich nur noch ins Bett gefallen bin und geschlafen habe."
"Das ist mir egal."
"Wie kommst du darauf, ich könnte eine Freundin haben?"
"Weißt du das wirklich nicht?" Zum ersten Mal glomm ein bisschen Interesse in Mickys Augen auf. "Eine wunderschöne blonde Frau mit einem Gipsbein."
"Wie kommst du denn darauf?"
"Warte einen Moment." Micky warf die Tür zu und stürmte die Treppe hinauf. Wenig später kam sie mit den Fotos zurück, öffnete die Tür und reichte Gerd wortlos die Beweise. "Hier ist sie."
Verblüfft starrte Gerd auf die Bilder. "Das ist Francis", stimmte er zu. "Eine Kollegin, mit der ich mich schon seit vielen Jahren recht gut verstehe. Aber das ist keine Freundin, so wie du das meinst. Diese Bilder hat deine Mutti gesehen?" Gerd erschrak. Deshalb also. Jetzt plötzlich verstand er, weshalb Melanie immer aufgelegt hatte, wenn er sie anrief. Dann war also doch keine Störung in der Leitung gewesen. Er hatte es geahnt! Deshalb war er auch nicht zu Melanie in die Galerie gegangen sondern hatte lieber sein Glück bei Micky versucht.
"Glaub mir, Kind, Francis ist nicht meine Freundin, und diese Bilder sind entstanden, als ich sie vor ein paar Tagen nach Hause fuhr. Mit ihrem Gipsbein ist sie ziemlich hilflos. Deshalb muss sie ihre Kollegen bitten, sie morgens abzuholen von Zuhause und abends auch wieder heimzubringen."
"Du hast sie geküsst."
"Ich verstehe nicht." Gerd schüttelte den Kopf. "Auch das war ganz harmlos, ein unwichtiger Freundschaftskuss, mehr nicht. Wer hat diese Bilder nur gemacht?"
"Mein Vater", kam die brummige Antwort. "Und du kannst nicht einmal leugnen, dass das alles passiert ist."
"Es ist ganz harmlos, das musst du mir glauben. Kannst du nicht versuchen, ein Gespräch zwischen mir und deiner Mutter zu vermitteln? Ich würde es ihr gern selbst erklären."
"Das glaube ich nicht, dass das klappt." Micky trat zurück, und plötzlich fiel die Kette. Die
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