Mit einem Bein im Modelbusiness
gestern ja ordentlich gefeiert, wie mir zu Ohren kam.«
» Jaja, wir hatten unseren Spaß«, grinste Keanu Reeves.
Ich dachte, ich höre nicht richtig. Die Rock ’n’ Roller der vergangenen Nacht hatten die Einrichtungsgegenstände der Hotelbar nicht nur ein bisschen durch die Gegend geworfen, sondern wirklich kaputt gemacht. Aber egal, bezahlt ja alles HUGO BOSS . Habt ihr gut gemacht, Jungs!
Ich bin alles andere als ein Moralapostel, aber dass diese Topmodels sich benehmen konnten, als gäbe es kein Morgen mehr, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen nach sich zog, war eine völlig neue Erfahrung für mich.
» Mario, sollen wir dir beim Anziehen helfen?«
Im Blick der Assistentin erkannte ich große Verunsicherung.
» Nein, nein, das bekomme ich schon hin. Es geht sowieso schneller, wenn ich das alleine mache«.
» Und was ist mit den Schuhen?«
» Yo, das läuft alles. Kein Problem!«, betonte ich extra laut. » Solange ihr Größe 45 dahabt, kriegen wir das hin.«
Puh, mittlerweile war ich mehr damit beschäftigt, meine Fitting-Crew zu beruhigen, als umgekehrt.
Der Casting-Chef, der nach wie vor auf mich aufpasste wie auf seinen eigenen Augapfel, meinte, dass ich später mit ihm zur Show fahren würde und nicht gemeinsam mit den anderen Models. Ich nahm es nickend zur Kenntnis und freute mich über diesen kleinen Extraservice, dachte aber kurz darüber nach. Vielleicht hatte er nur Sorge, dass mir auf dem Weg dorthin etwas passieren und sich die anwesende Presse auf die Geschichte stürzen könnte. Ich hätte stolpern und mit dem Kopf gegen eine Tischplatte knallen können, wäre durch ein anderes Model ersetzt worden, und die BILD hätte womöglich am nächsten Tag geschrieben: » HUGO BOSS lässt behindertes Model fallen!«
Solche Schlagzeilen konnten sie sicher nicht gebrauchen. Wie auch immer!
Mittlerweile war auch Ingo Wilts, der damalige Chefdesigner von Boss Selection, im Fitting-Room eingetroffen, um sich ein letztes Mal persönlich von meinem Walk zu überzeugen. Da ich für die hochpreisige Herrenkollektion des Hauses gebucht war, musste ich logischerweise auch in edlen Herrenschuhen laufen, die für meine Verhältnisse einen meterhohen Absatz hatten. Mir wurde etwas mulmig, denn das Gehgefühl war ein völlig anderes als in meinen Turnschuhen. Durch meine Orthese fühlte es sich an, als würde ich mit Skischuhen über Steine laufen. Aber gut, Brust raus, Augen zu und durch! Ich lief die Garderobe auf und ab und dachte ab der ersten Sekunde: Fuck! Wenn es nur in Ansätzen so aussieht, wie es sich anfühlt, dann war’s das jetzt. Behindertenbonus hin und her, die kicken dich wieder aus der Show. Zu meinem Erstaunen fand es der Chef aber okay, nickte mich kurz ab und verschwand auch schon wieder. Jetzt konnte mir nichts mehr passieren!
Von der Zentrale ging es weiter zur Show, die ein paar Kilometer entfernt in einem überdimensionalen Zelt stattfand. Als kleiner Junge hatte mich meine Mutter einmal mit in den Circus Krone genommen – so in etwa sah es dort aus, natürlich viel schicker und ohne die Tiere. Ich wartete mit den anderen Models im Backstage-Bereich und versuchte, so gut es ging die Zeit totzuschlagen, was mir nicht wirklich gelang. Ich pflanzte mich auf eines der Sofas und beobachtete die Aushilfen, die ständig Kisten hin und her schleppten. Ab und zu glaubte ich, Chris zwischen all den Menschen zu sehen, und freute mich schon, nur um festzustellen, dass er es doch nicht war.
Als wieder einer der Hilfsarbeiter an mir vorbeilief, stand ich auf und fragte ihn, ob ich ihm helfen könne, was er aber mit einer flinken Handbewegung dankend ablehnte. Ich fühlte mich diesen einfachen Leuten menschlich viel näher als den Models, die gelangweilt in ihre BlackBerrys und iPhones tippten und sich ihre ohnehin schon perfekt sitzenden Haare machen ließen. Später hing ich noch mit einer Gruppe von Studenten ab, die gerade einen dualen Bachelor-Studiengang bei HUGO BOSS absolvierten und die, genau wie ich, zum ersten Mal in ihrem Leben auf einer Modenschau waren. Schon komisch, wenn man darüber nachdenkt. Ich hatte mit diesen Studenten viel mehr Gemeinsamkeiten. Ich war einer von ihnen, und doch stand ich auf der anderen Seite des Spielfelds.
Showtime!
Der Augenblick der Wahrheit rückte immer näher. Wir wurden zusammengerufen und in der Reihenfolge hintereinandergestellt, in der wir gleich raus auf den Laufsteg sollten. Ich zählte die Models vor mir. Ich war die Nummer elf.
Die
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