Mit einem Bein im Modelbusiness
deshalb kann ich nur sagen: Auch der stärkste Krieger – und du bist ein Krieger – verliert manchmal den Glauben an seine eigenen Fähigkeiten. Doch er gibt den Kampf niemals auf. Und dann, wenn er am wenigsten damit rechnet, tritt ein Wunder ein. Warum? Weil er nie aufgehört hat, an sich zu glauben.«
Die kommenden Wochen vertrödelte ich mit allem möglichen unnützen Zeug, ohne auch nur eine Minute über meine Zukunft nachzudenken. Ich blendete einfach alles aus. Peter meldete sich, und wir verabredeten uns in seinem Studio.
» Mario, deine Ausbildung ist doch jetzt vorbei, oder?«, fragte Peter, während ich geistesabwesend in der italienischen Ausgabe der Vogue blätterte. Einmal auf dem Cover der Vogue zu sein, davon träumten wir alle. Vielleicht lag deshalb gerade heute ein Exemplar auf dem Tisch – to stay focused, wie Peter immer sagte.
» Mario?«, wiederholte er.
» Was?«
» Deine Abschlussprüfung?«
» Ja, die hab ich bestanden. Ich bin mit allem durch.«
» Alright, dann hast du also Zeit.«
» Ja, hab ich.«
» Was hast du in den letzten Wochen gemacht?«, fragte Peter und schaute mir direkt in die Augen.
Ich senkte den Blick.
» Nichts Besonders. Dies, das.«
» Hmm, das ist nicht sehr viel. Hast du wenigstens mit Lea gesprochen?«
» Nee.«
» Warum nicht?«
» Ach, ich weiß auch nicht.«
» Oh mein Gott, du versinkst ja geradezu in Selbstmitleid. Okay, Mario. Hör zu! Ich habe eine Idee für dich. Aber dafür musst du hier weg. Raus aus Hamburg!«
» Ja, schön, aber wohin?«
» Wohin, wohin?«, äffte Peter mich nach. » Hörst du mir denn gar nicht zu? Du fährst nach Milano zur Fashion Week. Ich habe schon alles arrangiert.«
Ich klappte die Vogue zu und schaute ihn entgeistert an.
Peter reagierte nicht darauf.
» Bin ich etwa gebucht?«, stammelte ich.
» Nein, bist du nicht! Außerdem ist dieses Jahr der Latino-Look angesagt, weswegen die Agenturen dich über den normalen Weg auch alle abgelehnt haben. Dich erwartet dort niemand und …«
Mein Geist hatte sich nach all den schlechten Nachrichten längst abgeschaltet. Peter sprach und sprach, und obwohl er es wie immer äußerst charmant formulierte, kamen bei mir durch den Agent-Model-Filter folgende Sätze an: » Wenn ich ehrlich sein soll, wartet in Mailand kein Schwein auf dich. Ja, und selbst die verpissen sich im Frühjahr in Richtung Parma. Und der Chauffeur, der dich vom Flughafen abholt – falls er dich abholt, was ich stark bezweifle –, würde dich nicht mal anlächeln, wenn er nicht dafür bezahlt werden würde. Ach, noch was, unsere italienischen Kollegen haben dieses Jahr keine Verwendung für dich, weshalb sie auch keine Kosten übernehmen. Sie tun mir einen persönlichen Gefallen, dass sie dich genommen haben. Es gibt wahrscheinlich auch keine Jobs für dich. Die Agentur wird natürlich vor Ort für dich arbeiten und dich anbieten, aber sie schießen keinen einzigen Cent vor. Du darfst im Model-Loft wohnen, musst aber dafür bezahlen.«
» Na, wenn das mal nicht nach einem Traumjob klingt!«, zischte ich undankbar.
» Mario, so ist das Geschäft. Du musst dein Geld jetzt reinvestieren. Flug, Apartment, Essen – für zwei Monate kostet dich das vielleicht etwas mehr als 2000 Euro, wenn du sparsam lebst. Aber ich garantiere dir, du wirst dort eine gute Zeit haben.«
So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Das wenige Geld, das ich bisher mit meinen Aufträgen verdient hatte und das längst ausgegeben war, sollte ich also in eine Stadt investieren, von der ich wusste, dass sie mich nicht mit offenen Armen empfangen würde. Es gab keine einzige Option. Nicht ein Designer hatte mich auf seiner Liste. Mir war schon klar, dass die Italiener nicht auf einen blonden Deutschen mit Gehfehler warteten, aber auch noch meine letzte Kohle investieren?
» Die Fashion Week ist im Juni«, erklärte mir Peter. » Du fährst aber schon im April nach Milano, stellst dich in der Agentur vor, lernst die Stadt kennen und gehst zu den Castings. Sag, wie viele Castings hast du im letzten halben Jahr hier in Deutschland gehabt?«
Ich überlegte kurz.
» Zwei.«
» Ich verspreche dir, du wirst in Milano bis zu zehn Castings bekommen!«
» Insgesamt?«
» Am Tag, Mario. Am Tag!«
» Wow! Auch wenn mein Look nicht gefragt ist?«
» Gerade deshalb. Du weißt nie, was passiert! Das Leben steckt voller Überraschungen, vor allem dann, wenn die Chancen schlecht stehen.«
Wann, wenn nicht jetzt!
Ich saß wieder in
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