Mit einem Bein im Modelbusiness
wusste, dass sie mich nicht anrufen würden. Ich behielt Recht, und wie ich schon anfangs vermutet hatte, ging der Job an meinen Konkurrenten Paul.
Es ist schon verrückt, wenn man sich überlegt, dass ein einziger Zentimeter manchmal über Sieg oder Niederlage entscheidet. Auch wenn ich mir heute nichts davon kaufen kann, bin ich mir trotzdem hundertprozentig sicher, dass ich ihre erste Wahl war. Sonst hätten sie nicht diesen Aufwand betrieben, mich unbedingt in geschlossenen Schuhen sehen zu wollen. Aber hey, that’s life!
Kurz bevor ich ging, sagten sie noch, dass sie nun wüssten, worauf sie bei mir zu achten hätten, und dass sie mich gerne für die nächste Show im Sommer an Bord hätten. Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen, denn drei Wochen später, am 11. Februar 2010, beging Alexander McQueen in seiner Londoner Wohnung Selbstmord.
Wo bleibt der Krankenwagen?
Die Fashion Week in Mailand ging langsam dem Ende entgegen, und die ersten Models, die keine Jobs mehr in Aussicht hatten, brachen bereits in Richtung Paris auf. Byblos buchte mich kurzfristig für eine Präsentation, also blieb ich. Gianni Versace war dort mal Chefdesigner, allerdings zu einer Zeit, in der ich noch nicht geboren war. Wirklich happy machte mich dieses Booking zwar nicht, da ich noch Alexander McQueen nachtrauerte, aber die Italiener zahlten viel Geld dafür, dass sie für ein paar Stunden ihre neuen Styles an mir ausprobieren durften. Außerdem war ich so gut wie pleite und konnte so wenigstens mit einem kleinen Plus auf dem Konto zurück nach Paris fliegen.
Am Tag vor der Show bekam ich über Facebook eine Nachricht von Bianca, ob ich nicht Lust hätte, sie am Abend ins Just Cavalli zu begleiten. Sie wäre dort mit ein paar Freunden zum Essen verabredet und würde danach noch rüber zur GQ -Party ins Hollywood gehen. Ich überlegte kurz, aber eigentlich hörte sich das nach einem guten Plan an. Am nächsten Morgen musste ich zwar um 9 Uhr wieder fit auf der Matte stehen, aber da der Club direkt um die Ecke lag, dachte ich mir, ich könnte ja jederzeit unauffällig die Biege machen. Außerdem, warum hier in der Bude Tütensuppe löffeln, wenn ich dort feinste Köstlichkeiten à la carte futtern konnte, ohne dafür bezahlen zu müssen? Allerdings wollte ich nicht alleine gehen, weswegen ich Bianca fragte, ob es ein Problem sei, wenn meine Jungs aus der WG mitkämen. Sie meinte, ich könnte drei Freunde mitbringen, allerdings müsste sie vorher erst ihre Sedkarten checken. Ich schickte ihr die Fotos per Mail und bekam zehn Minuten später ihre Antwort: » Süß! Ihr seid alle herzlich eingeladen.«
Offerten der üblen Art
In Mailand sind deine Kontakte enorm wichtig. Alles dreht sich darum, bei welcher Agentur du bist, ob dein Booker dich feiert, mit welchem Designer du zufällig zu Abend isst und – oh Wunder, wer mit wem ins Bett geht. Den letzten Punkt wollte ich lange nicht wahrhaben. Natürlich hörte ich von den anderen Models immer mal wieder dubiose Geschichten, aber noch nie hatte ich solche Offerten mit meinen eigenen Augen gesehen.
Ich lernte Bianca während meines ersten Mailand-Aufenthalts auf einer Aftershowparty kennen. Sie war eine einflussreiche Promoterin, zu deren Job es gehörte, die Clubs mit heißen Models zu versorgen, denn auch in Mailand gilt die Devise: Wo schöne Mädchen sind, sind reiche Männer nicht weit, und die lassen sich in der Regel diese sexy Gesellschaft eine Stange Geld kosten. Das Just Cavalli ist während der Fashion Week der Hotspot number one. Alle wollen rein, doch steht dein Name nicht auf der Gästeliste, hast du keine Chance. Bist du aber erst mal drinnen, dann chillst du neben Promis wie Robinho, Chris Brown oder Katy Perry und kannst dabei zusehen, wie sich ein Mädchen nach dem anderen dafür bewirbt, für nur fünf Minuten an Ushers Tisch sitzen zu dürfen.
Männliche Models sind von den Clubbesitzern überhaupt nicht gern gesehen, weil sie irgendwann festgestellt haben, dass die Jungs den alten Säcken Konkurrenz machen und ihnen die Mädels wegschnappen. Deswegen ist es für uns schwer geworden, in diesen Laden reinzukommen.
Der Abend begann im Restaurant. Wir saßen mit Bianca, zwei männlichen Models aus Brasilien, die keiner von uns kannte, und zwei schmierigen, offensichtlich sehr reichen Herren an einem großen Tisch, aßen Hummer und tranken teuren Rotwein. Was diese Typen wirklich in der Modebranche zu sagen hatten, war mir nicht ganz klar, aber ich fühlte mich
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