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Mit falschem Stolz

Mit falschem Stolz

Titel: Mit falschem Stolz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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sich an Hilda: »Wie geht es Lauryn?«
    »Hab ihr das Hemd angezogen. Wenn Gott will, wird es ihr gegen das Fieber helfen. Aber sie wollte keine Suppe essen und schläft jetzt.«
    »Ich kümmere mich nachher um sie. Hat sich Lore heute schon hier eingefunden?«
    »Ist mit einem halben Dutzend Wecken und den Gänsen raus und geht am Nachmittag zu dem Magister, hat sie gesagt.«
    Das Gassenkind also war gesund – sie war in einer solch schmutzigen und unreinen Gegend aufgewachsen, dass ihr die Dünste eines notariellen Durchfalls nicht zu schaden schienen. Alyss nahm das Brot an, das Leocadie ihr reichte, und tunkte es in die gut gewürzte Zwiebelsoße, die die Bratenscheibe auf ihrem Schneidbrett bedeckte.
    Die Tischgespräche wandten sich den üblichen Haushaltsthemen zu. Der Verschlag des Falken musste gesäubert werden, im Hühnerstall war eine Stange zerbrochen, Fässer sollten gereinigt und das quietschende Rad des Frachtkarrens geschmiert werden.
    Alyss fiel auf, dass Tilo still und in sich gekehrt in seinem Essen stocherte, und nahm sich vor, ihn nach seinem Kummer zu befragen. Die Entdeckung, dass Robert noch lebte, hatte alle ein wenig mitgenommen, und sicher kursierten im Hauswesen unzählige Schauergeschichten. Tilo hatte mehrere Monate mit Master John in dessen Heimat verbracht. Vielleicht hatte auch er einige Antworten auf ungelöste Fragen gefunden. Es mochten welche dabei sein, die ihn bedrückten.
    Das aber war es nicht, was sich bald darauf herausstellte, als Alyss ihn, nachdem sie recht schnell mit Merten die Abrechnung durchgegangen war, ins Kontor bat.
    »Es ist … weil Hilda sagt, der Lauryn … sie sagt, es geht mit ihr zu Ende, wenn man ihr nicht hilft.«
    »Hat sie das gesagt?«
    Er nickte bekümmert.
    »Sie wollte ihr eine Arznei mischen, aber Ihr habt es verboten, sagt sie. Und sie hat keine Zeit, zu einem Priester zu gehen, um sich ihren Zettel weihen zu lassen. Und weil schon die Dohlen auf dem Dach über ihrer Kammer sitzen …«
    »Tilo, Hilda ist eine sorgsame Haushälterin, aber sie ist auch schrecklich abergläubisch, das weißt du doch.«
    »Ja, aber …«
    »Sie wollte Lauryn gekochte Asseln einflößen.«
    »Igitt!«
    »Eben. Lauryn ist ein starkes junges Mädchen, sie wird sich ein paar Tage schwach fühlen, aber bald wieder gesund werden. Glaub mir, Tilo, sie wird gut gepflegt. Hilda sagt, sie schläft ruhig. Und das hilft in ihrem Fall am meisten.« Da Alyss ein kleines Teufelchen zwickte, fügte sie hinzu: »Wenn ich glaubte, dass es ihr wirklich schlecht ginge, würde ich nach ihrem Verlobten in Villip schicken.«
    Im Januar, nach dem Tod des Vaters, hatte Lauryns Mutter ihre Tochter mit dem Stallmeister Wulf verlobt, einem stattlichen Mann, doch nach Alyss’ Meinung nicht ganz derjenige, der zu dem klugen, verständigen Mädchen gepasst hätte. Sie hätte sie gerne als Eheweib in einem der großen Handelshäuser gesehen. Tilo mochte noch sehr jung sein und eine kalbsäugige Verehrung für die schöne Leocadie hegen, er war aber auch der Sohn und Erbe eines angesehenen Tuchhändlers. Dazu kam, dass Lauryn geradezu hilflos in ihn verliebt war.
    Die Erwähnung des Verlobten zeigte die beabsichtigte Wirkung. Tilo knetete seine tintenbeklecksten Hände.
    »Sie wollte mich nicht sehen …«, nuschelte er.
    Natürlich nicht. Welche junge Frau will schon, dass der Mann, den sie liebt, sie in ihrem Elend sieht?, dachte Alyss.
    »Es ist nur vernünftig, Tilo, wenn erst einmal keiner zu ihr geht. Ich möchte nicht, dass das ganze Hauswesen auf der Nase liegt. Aber«, und dann lächelte Alyss eines ihrer seltenen Lächeln, »aber über ein paar Blumen würde sie sich sicher freuen. Hinten im Weingarten blühen noch die späten Rosen …«
    Tilo trat von einem Fuß auf den anderen, dann stammelte er: »Rosen. Ja. Aber, Rosen … ähm … schenkt man die nicht seiner Liebsten? Ich meine, so wie Leocadie immer in ihren Gedichten aufsagt …«
    »Ja, Rosen sind ein Zeichen der Zuneigung. Und Zuneigung, Tilo, ist eine äußerst hilfreiche Arznei.«
    »Ja. Mhm … Ja, dann geh ich mal in den Garten. Ja. Ja, das mache ich. Und sag Hilda, sie soll ihr die Blumen bringen, richtig?«
    »Tu das, Tilo.«
    Er trampelte so eilig aus dem Kontor, dass die Tür mit einem lauten Schlag hinter ihm zufiel. Alyss sah ihm sinnend nach. Mochte der Samen endlich aufgehen. Denn sie stimmte sehr mit dem klugen Dichter Freigedank überein, der schrieb:
    »Ein Weib wird vor sich selber wert,
    wenn sie der Besten

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