Mit falschem Stolz
Gislindis, ist dir zugetan. Glaubst du, er würde dich hier im Turm verschmachten lassen?«
Gislindis’ Züge wurden abweisend.
»Was hat er dir getan, dass du ihn so heftig ablehnst?«
»Nichts.«
»Doch, es muss etwas geschehen sein, denn noch vor Kurzem war er glücklich damit, dir Honigkuchen aus der Vorratskammer zu stibitzen und die Rosen meiner Mutter zu plündern.«
»Es geht nicht, Alyss.«
»Was geht nicht?«
»Ich kann nicht Rosen und Süßigkeiten für Küsse tauschen. Leichtherzig tändeln will ich nicht.«
Alyss nickte und verstand. Eigentlich hatte sie es schon immer gewusst. Es war weit ernster als jede Tändelei, was zwischen Gislindis und Marian begonnen hatte.
»Vor zwei Jahren, Gislindis, kam mein Bruder von Spanien zurück, zerbrochen an Leib und Seele«, begann sie und erzählte von dem Weib, das er geliebt hatte und das bei dem Überfall gestorben war. Gislindis hörte zu, still und in sich gekehrt. »Und nun glaubte ich, dass er es überwunden, dass er wieder sein altes, heiteres Selbst gefunden hatte und dass die Erinnerung zu einem Schatten geworden war, mit dem er leben kann. Du hast ihm geholfen, durch dich hat er wieder lieben gelernt. Warum stößt du ihn zurück?«
Zwei Tränen rollten langsam über Gislindis’ Wangen, doch sie schluchzte nicht.
»Es geht nicht, Alyss. Ihr seid Kinder hochedler Eltern, ich bin die Tochter einer Fahrenden und eines Messerschleifers.«
»Wir sind die Kinder einer grauen Begine und eines schwarzen Mönchs, du bist die Tochter einer weisen Frau und eines redlichen Handwerkers.«
»Hör auf, mir Hoffnung zu machen!«
»Nein. Hör mir zu! Marian, genau wie meine Eltern, wird alles daran setzen, uns beide hier herauszubekommen. Und wenn wir frei sind, Gislindis, dann schluck deinen Stolz herunter, du hochnäsige Schlyfferstochter.«
Gislindis machte den Mund auf und schloss ihn wieder.
Draußen vor der Tür hörte man Schritte.
Der Riegel wurde aufgeschoben.
Sie fassten einander an den Händen.
Marian und Magister Jakob traten ein.
»Ich bin befugt, werte Frauen, Euch mitzuteilen, dass die Anklagen gegen Euch fallen gelassen wurden.«
Alyss seufzte erleichtert auf.
Gislindis zitterte.
28. Kapitel
S ie fuhr nieder wie der Falke auf seine Beute. Ich sah Federn fliegen und den einen oder anderen blutigen Fetzen Fleisch, Frau Alyss«, erzählte Frieder mit Genuss. John schmunzelte in sich hinein, als er sich die Szene vorstellte, wie Lady Almut über die Adlerwirtin herge fallen war. Selbst die Herrin des Hauswesens hatte ein unheiliges Leuchten in ihren grauen Augen. Sie war noch immer blass und in sich gekehrt, und er konnte es gut verstehen. Es war nicht leicht, sich wieder in den Tagesablauf einzufinden. Erinnerungen an Kerkerzeiten voll Angst und Bedrohung kamen zu unerwarteten Zeiten wie böse Träume zurück. Aber eben dieses Hauswesen, dieses seltsame, vielfüßige, gefräßige Getier, hatte so eine eigene Art, sich an sie zu schmiegen und zu schnurren. Wie dieser schwarze Kater, der eben um ihre Beine strich.
»Und was hat sie ihr entrissen?«, fragte Marian.
»Dass der Mann, den Mats gezeichnet hat, mehrmals in ihrer Schenke war. Seinen Namen wusste sie nicht, aber sie wurde dazu angehalten, ihn herauszufinden.«
»Dazu angehalten, ah ja.«
Frieder grinste. »Unter Androhung höllischer Strafen, da die kleine Adlerin trotz zerfleddertem Gefieder bockig war. Aber Frau Almut hat so ihre Methoden.« Er erschauderte theatralisch.
»Sie hat mehrsilbige Schimpfwörter verwendet?«
»In blumigster Form. Ich werde heute Nachmittag im Adler nachfragen, was die Frau Franziska herausgefunden hat. Allerdings – der Anton Scriver ist es nicht, den Mats da gezeichnet hat.«
»Das wäre wohl auch zu einfach gewesen.«
»Ja, und dann haben wir im Rausgehen auch noch den Schmied befragt.«
»Ebenfalls Federn und Fleischfetzen?«
»Nein, Master John. Er war handzahm, und wie es schien, zürnte er seinem Weib ob der schändlichen Zeugenaussagen. Er betrachtete die Zeichnung eingehend, kratzte sich mehrfach verlegen den Kopf und brummelte dann etwas, das wir nicht verstanden.«
»Worauf meine Mutter, die unter uns auch den Titel mater inquisitoris nicht zu Unrecht trägt, die peinliche Befragung aufnahm, nehme ich an?«
»So war es, Herr Marian. Und es war schrecklich. Hätte sie ihn an den Amboss gefesselt und mit dem Hammer gefoltert, es wäre gnädiger gewesen.«
John erheiterte sich mehr und mehr. Für Frau Almut hegte er höchste
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