Mit Familienanschluß
die Frage: Was fasziniert ein junges Mädchen an einem älteren Mann? Die Lebenserfahrung? Der Lehreffekt? Die Bewunderung für ein gemeistertes Leben? Oder ist es ganz einfach ein Vaterkomplex, eine Freudsche Flucht in die Geborgenheit und Sicherheit der verlorenen Kinderjahre?
»Mami, wir treiben ab!« sagte Manfred und unterbrach Dorotheas Gedanken. »Du trampelst ja gar nicht.«
»Und wie ich trampele, mein Liebling!« Sie riß sich von dem Bild am Strand los. »Und wir lassen uns auch nicht abtreiben. Wir halten die Stellung!«
Auf dem Badetuch hatte man ganz andere Probleme. Wolters legte die Zeitung weg, blickte Eva an, die sich neben ihn gesetzt hatte, und beglückwünschte sich selbst zu der Perspektive, in der er ihre Figur nun sah.
Er blähte die Nasenflügel … Ein leichter Duft von Limonen flog zu ihm. Evas Schutzcreme – sie hatte eine sonnenempfindliche Haut – roch danach. Für Wolters war es der Duft aus den Hängenden Gärten der Semiramis.
Eva zog die Beine an und legte ihr Kinn auf die Knie. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Herr Wolters?«
»Jede …«
Er betrachtete ihre schlanken Oberschenkel und atmete durch die Nase wie durch eine enge Röhre.
»Gelten die drei Wünsche noch, die ich frei habe?«
»Welche Frage! Die Fee ist immer bereit.«
»Den ersten Wunsch hätte ich schon …«
»Heraus damit – er ist bereits erfüllt!«
»Ziehen Sie wieder Ihre alte Badehose an.«
Wolters war zumute, als bekäme er vom Erdinneren her einen Schlag ins Kreuz. Er richtete sich ruckartig auf.
»Die neue gefällt Ihnen nicht, Eva?«
»Nein.«
»Irritiert sie Sie?«
»Ja …«
Das war, wenn man es mit den Augen eines Johannistrieblers betrachtet, ein Kompliment, nur wußte Wolters nicht, ob er jetzt ›danke‹ sagen oder es stillschweigend hinnehmen sollte. Er entschloß sich für schweigende Zustimmung.
»Wenn das Ihr erster Wunsch ist, Eva – ich habe es versprochen: Er ist erfüllt. Nun bin ich wahnsinnig gespannt auf den zweiten Wunsch!«
»Ich fühle mich in Ihrer Familie so zu Hause, so heimatlich, daß es mein Wunsch wäre – sagen Sie du zu mir. Dieses Sie paßt irgendwie nicht zu uns …«
»Mit Freuden erfüllt! Du hast recht, Eva – das Sie ist immer wie eine Glaswand. Was hat eine Glaswand zwischen Familienmitgliedern zu suchen!« Sein Herz hüpfte so verrückt, daß er die Lippen zusammenkniff aus Angst, sie könnten zittern. »Jetzt muß die gute Fee dir aber einen Kuß geben, um das Du zu besiegeln …«
(So dusselig können Männer reden!)
»Bitte, Hermann …«
Wolters hatte das Empfinden, seinen Namen noch nie so glockenrein gehört zu haben. Es war Melodie in Evas Stimme, eingebettet in Sehnsucht: Hermann … Du lieber Gott, wieviel verborgene Schönheit konnte das Leben doch noch schenken!
Behutsam nahm er Evas Kopf zwischen seine Hände, zog ihn zu sich heran und küßte ihre leicht geöffneten Lippen. Sie schmeckten nach Himbeeren, fand er, was ihn fast betäubte vor Wonne. Nur der Schirm seiner Mütze war im Weg – er schabte über Evas Stirn, was sie veranlaßte, den Kuß schnell abzubrechen.
Ein Mistding von Mütze, dachte Wolters wütend. Sie fliegt mit der Badehose weg! Man kann doch nicht immer, wenn man küssen will, den Schirm wie ein Visier hochklappen. Nicht alles Modische ist praktisch.
Im Tretboot biß Dorothea die Zähne zusammen. Natürlich sah sie den Kuß und war völlig außer Fassung über die Unbekümmertheit, mit der so etwas öffentlich geschah. Wie weit mußte es mit Hermann gekommen sein, wenn er Eva so ungeniert küßte, wo er doch wußte, daß seine Frau mit Manfred ganz in der Nähe mit einem Tretboot auf dem Wasser herumfuhr.
»Wir kehren um, Liebling«, sagte Dorothea. Ihre Stimme klang belegt und gepreßt.
»Die Stunde ist aber noch nicht rum, Mami …« Der Kleine zog einen Flunsch.
»Ich kann nicht mehr, Manfred. Mir tun die Beine weh.«
»Von so'n bißchen Trampeln?«
»Mami ist nicht mehr so jung wie Eva …« Das klang bitter, und es tat auch weh, es auszusprechen. »Das nächste Mal fährt sie mit dir. Eva hat viel mehr Schwung …«
»Sie hatte aber vorhin keine Lust dazu.«
»Ich weiß. Sie wird ihre Gründe haben …«
Sie trampelten an den Strand zurück, der Bootverleiher zog das Boot aufs Trockene und sagte in gebrochenem Deutsch: »Zeit nix um. Noch halbe Stunde. Bott nix gutt? Anderes Bott?«
»Nein, danke.« Dorothea schüttelte den Kopf. Ein Weinen saß ihr in der Kehle. »Das Boot ist in
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