Mit Familienanschluß
Wolters merkte sehr wohl den kleinen, aber gravierenden Unterschied zu früher: Sie sagte nicht mehr Muckel, sie sagte Hermann. Ein kühler Hauch der Entfremdung wehte ihn an. Wegen Enrico Tornazzi?
Widerstandslos gab Wolters das Telefon frei. Fast hilfesuchend blickte er den Rest seiner Familie an, aber die vermied alles, wodurch sie in dieses Problem hineingezogen werden konnte. Gabi stand sogar auf und ging hinaus.
Ich bin allein, dachte Wolters voller Bitterkeit. Vollkommen allein. Womit habe ich das verdient? Ich war doch immer ein guter Vater …
Hinter ihm stieß Dorothea ein girrendes Lachen aus – ein geiles Lachen, wie Wolters fand. Dabei bog sie sich in den Hüften und sah hinreißend aus.
»Pronto«, sagte sie. »Sono il Dorothea … Oh, Enrico! Como sta? Tante grazie per la Sua gentilezza …«
Wolters schwankte mehr, als daß er ging, zu Walter und setzte sich neben ihn auf die hölzerne Sessellehne. Der kalte Schweiß brach ihm aus.
»Seit wann spricht Mami italienisch?« flüsterte er.
»Wie kann ich das wissen?« knurrte Walter und lutschte an der zehnten Salzstange. »Frag sie doch selbst.«
»Kennst du diesen Enrico?«
»Ich hab' ihn mit Mami auf der Piazza gesehen. Sie gingen in eine Bar …«
»Bar? Am hellen Vormittag?«
»Hier nennen sich auch Tagesrestaurants mit besonderer Note Bar …«
»Was heißt ›besondere Note‹?«
»Na – verschwiegene Eckchen, ungestörte Nischen, diskrete Bedienung, leise Hintergrundmusik …«
Wolters fragte nicht weiter. Ihm wurde wieder übel, ein sicheres Zeichen, daß die Aufregung ihn auffraß. Am Telefon ließ Dorothea eine Kaskade von perlendem Lachen los, wie er es noch nie bei ihr gehört hatte. Hermann Wolters zuckte wie unter stechenden Schmerzen zusammen und starrte auf seine so völlig verwandelte Frau. Auf einmal glich sie diesen unerreichbaren Geschöpfen, die die Seiten der Gesellschaftsmagazine bevölkern und bei deren Anblick Wolters manchmal darüber nachgegrübelt hatte, was die Männer solcher Frauen verdienen mußten, um diesen Luxus zu bezahlen.
Jetzt wußte er es. Man mußte zum Beispiel Keramik-Millionär sein und einen Maserati fahren.
Mit einem weiteren hellen Lachen, das wie ein Brunftschrei klang – so jedenfalls Wolters' Version – beendete Dorothea das Gespräch. Sie schwebte zurück zu ihrem Sessel, warf sich hinein und griff nach einer neuen Zigarette. Ihr Kleid war hochgerutscht und gab den Blick auf ihre langen schlanken Beine frei, die bereits attraktiv gebräunt waren. Eine glatte, makellose Haut hatte sie. Trotz der drei Kinder keinen Hauch von Krampfadern. Die Beine eines jungen Mädchens.
Und so ist sie am ganzen Körper, dachte Wolters mit trockenem Gaumen. Kein Wunder, daß ein so geiler Hirsch wie dieser Enrico Tornazzi mit dem Röhren anfängt!
»Zufrieden?« fragte er, als Dorothea schweigend rauchte.
»Sehr.«
»Darf man als Ehemann höflichst fragen, was da besprochen worden ist?«
»Er will mich morgen abend abholen. Zu einem Konzert. Das Sinfonieorchester Genua spielt in Imperia. Beethoven, Prokofjew und Glinka.«
»Und du hast zugesagt?«
»Aber ja! Soll ich mir das entgehen lassen? Du kannst ja an diesem Abend in einen Rockschuppen gehen. Für Rock sind deine neuen Joggingschuhe gerade das richtige. Man federt gut darin.«
Nun hielt auch Walter die Zeit für gekommen, das Zimmer zu verlassen. Er zwinkerte Eva auffordernd zu, und beide gingen hinaus. Hermann Wolters wischte sich den Schweiß vom Gesicht und rutschte in den freigewordenen Sessel von Walter.
»Du fährst also wirklich morgen nacht mit diesem Enrico nach Imperia?« fragte er. »So völlig ohne Hemmungen?«
»Hermann, das ist ein falscher Ausdruck!«
»Die Kinder sind weg, wir können offen reden.«
»Der Kleine ist noch da.«
»Der versteht das noch nicht. Gott sei Dank hat er noch Achtung vor seiner Mutter.«
»Das versteht er nun wirklich! Ich bitte dich, Hermann …«
»Ich geh ja schon!« Manfred packte sein Modellflugzeug in eine Pappschachtel. »Macht nur weiter Krach … so was Doofes! Nur weil Mami rote Haare hat …«
Wolters wartete, bis sich die Tür hinter Manfred geschlossen hatte. »So, nun sind wir allein«, sagte er und spürte wieder, wie sein Magen schmerzte. »Sei ehrlich zu mir, Dorothea: Was ist mit diesem Tornazzi?«
»Ich habe ihn kennengelernt, weiter nichts.«
»Und Wein getrunken …«
»Ist das ein Verbrechen? Sollte ich Wasser trinken?«
»Wenn ich mit jedem hübschen Mädchen in
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