Mit Familienanschluß
seinen Wagen. Er trug die neuen Jeans, ein weißes Hemd und eine weite Sommerjacke aus Jersey. Und natürlich die Joggingschuhe. Er sah verdammt unternehmungslustig aus.
Dorothea und Walter standen oben am Schlafzimmerfenster und beobachteten Wolters' Abgang. Walter hatte den Arm um die Hüften seiner Mutter gelegt.
»Ich glaube, Junge, der Schuß geht nach hinten los«, flüsterte Dorothea. »Paps macht ernst mit seinem Barbesuch. Er schluckt Enrico, um selbst frei zu sein. Wer hätte das gedacht. Frei für Eva …«
»Der Alte hat doch 'ne Meise!« sagte Walter wegwerfend. »Eva und er – da bin ich auch noch da. Daran denkt Eva nicht mal in Alpträumen …«
»So übel ist dein Vater nun auch wieder nicht. Er hätte noch Chancen … Junge, fahr ihm nach! Tu mir den Gefallen.«
»Auf gar keinen Fall, Mami.«
»Bitte! Er begeht sonst womöglich Dummheiten, die er nicht wieder rückgängig machen kann.«
»Ich kann doch keinen Mann von 46 Jahren an die Leine nehmen!«
»Paps aber doch! Bitte …«
»Das ist doch superblöd, Mami!«
»Wenn schon! Tu's mir zuliebe, Junge. Damit ich Ruhe habe.«
»Also gut.« Walter trat vom Fenster zurück. Der Wagen seines Vaters war längst davongefahren. »Ich kümmere mich um ihn. Aber was soll ich mit den Tanten machen, die er sich aufreißt?«
»Dir fällt schon etwas ein, Walter. Bitte, fahr schnell hinterher.«
»Mir wird ewig unbegreiflich bleiben, wieso gerade Paps deine große Liebe ist«, sagte Walter muffig.
»Das stimmt. Es ist ebenso unbegreiflich wie die Tatsache, daß Ingeborg dich liebt.«
Das war ein Thema, dem man ausweichen mußte! Walter verließ schnell das Schlafzimmer und rannte zu seinem alten Citroën.
Aber Hermann Wolters war nur ein Stück die Straße nach Diano Marina hinuntergefahren. Dann bog er ab und zockelte einen schmalen Feldweg entlang, der plötzlich zu Ende war. Wolters blieb stehen, stieg aus dem Wagen und setzte sich in die offene Tür.
Hier bleiben wir, dachte er. Sehen auf das Meer, auf die Stadt, in den Himmel, zu den Sternen und lassen die Stunden verstreichen. Soll Dorothea doch denken, ich tanzte jetzt in einer Bar – es wird heilsam für sie sein. Oder auch nicht … dann hat sowieso alles keinen Sinn mehr. Dann war das Ferienhaus an der Riviera die Endstation unserer Ehe. An der Nordsee wäre das nicht passiert. Eigentlich ein Hohn des Schicksals: Man will tausend Mark sparen und verliert dafür Frau und Kinder.
Er blickte in den hellen Sternenhimmel, aber er hatte nicht mehr die innere Ruhe, die Sternbilder auseinanderzuhalten. Denn außer Enrico Tornazzi war ja da auch noch Eva Aurich, die ihm im Kopf herumging. Wenn man es genau nimmt, wenn man korrekt sein will, wie es sich für einen Studienrat Hermann Wolters gehört, hatte er seine Frau in Gedanken bereits massiv mit Eva betrogen. Das war eine Schuld, die er nun mit sich herumtrug.
Aber Gedanken sind immer noch etwas anderes, Harmloseres als das Faktum: ›Ich fahre morgen mit Enrico nach Imperia zum Sinfoniekonzert!‹ Das ist eine Tat. Gedanken sind nur theoretische Überlegungen. Ein Jonglieren mit Wunschvorstellungen. Wenn man Gedanken bestrafte, gäbe es nur noch Schwerverbrecher!
Hermann Wolters hätte später nicht zu sagen gewußt, wann und wie es geschah – aber im Laufe dieser Nacht am Feldrain und allein mit Himmel und Meer, wuchs in ihm eine unbändige Energie, die ihm befahl, sich Enrico Tornazzi entgegenzustellen. Dort ein Millionenvermögen – hier zwanzig Jahre glückliche Ehe. Was wog denn mehr?
Die Stunden schlichen endlos dahin. Wolters wanderte auf dem Feldweg hin und her, rauchte vier Pfeifen, beobachtete, wie der Morgen dämmerte und Meer und Landschaft veränderte, und dachte doch immer nur an Dorothea. Und in diesen langen Stunden gewann er die Klarheit, daß es bei einer Entscheidung zwischen Dorothea und Eva nur eines gab: das ungetrübte Glück der vergangenen zwanzig Jahre zu erhalten oder wiederzuerlangen.
Um vier Uhr morgens entschloß sich Hermann Wolters, wieder heimzufahren. Es war eine gute Zeit, wenn man einen ausgiebigen Barbesuch vortäuschen wollte. Vor allem war es glaubhaft, daß ein Mann wie er, wenn er erst einmal in Schwung gekommen war, es bis vier Uhr morgens bei einem schönen Mädchen aushielt.
Walter war unterdessen natürlich längst aus Diano Marina zurückgekommen und hatte seine Mutter in Panik versetzt.
»Nichts«, sagte er. »Keine Spur von Paps. Ich habe alle Bars und Tanzschuppen abgeklappert.
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