Mit Familienanschluß
es sein, dachte sie, trotz der neuen Jugend aus Make-up-Töpfchen und Gurkenmaske. Sie zeigte auf Walter. »Mio figlio …«
Den Schwarzgelockten, mit den weißen Strähnen, schien das in keiner Weise zu beeindrucken. Er verbeugte sich knapp vor Walter und sagte: »Piacere! Mi chiamo Enrico Tornazzi.«
»Du mußt zugeben, Mami, er ist höflich, hat Stil und sieht blendend aus. Bei deinem Anblick reagiert er genauso wie ein gesunder Mann einfach reagieren muß. Ich sehe keinen Anlaß, ihm den freien Stuhl zu verweigern.«
»Walter! Du sollst mich doch schützen!«
»Ich bin ja bei dir, Mami. Keine Angst, keine Panik. Er wird dich schließlich nicht hier im Lokal vernaschen.«
»Ich hören, Sie Deutsche?« sagte Enrico Tornazzi. Walter wurde etwas fahler. Ihm war klar, daß Tornazzi jedes Wort verstanden hatte. »Ich kann deutsch ein wenig. Ich habe auch Kind. Großes Tochter. Hat schon Bambina. Giulia. Ich nonno … Großvater …« Er lachte, kokettierte mit seinem blendend weißen Gebiß und sah wirklich umwerfend gut aus. »Trinken wir zusammen vino. Sie sein ein wunderbare Frau …«
»Und so früh Witwe geworden …«, sagte Walter.
Dorothea zuckte heftig zusammen. Sie wollte protestieren, aber Walter trat ihr unter dem Tisch auf den Fuß.
»Ich auch«, sagte Tornazzi mit glänzenden Augen. »Maria tott seit vier Jahren. Sie nix Mann, Signora, ich nix Frau … Möchte Schicksal küssen, weil ich gesehen Sie …«
Es wurde ein sehr schöner Vormittag. Man trank zwei Flaschen Rotwein und wurde sehr fröhlich.
Enrico Tornazzi besaß in Modena eine große Keramikfabrik, stellte Wand- und Bodenfliesen her und exportierte sie in alle Welt. Natürlich auch nach Deutschland. Dort saß sein bester Kunde.
Zerknirscht und unglücklich allerdings wurde Tornazzi, als Walter zum Aufbruch mahnte.
»Spero ehe ci rivedremo presto!« sagte Tornazzi mit einem Gesicht, als leide er Höllenqualen.
»Bestimmt sehen wir uns wieder!« tröstete ihn Walter.
»Quando ci rivedremo?«
»Vielleicht schon morgen.«
»E stato molto bello. Tante grazie. Le telefono domani …«
»Bitte nicht anrufen!« sagte Dorothea schnell.
»Warum nicht?« Walter grinste unverschämt. »Unsere Nummer ist 32 8 58. Wenn sich eine fremde Männerstimme meldet, ist es unser Butler.«
Für Tornazzi schien es selbstverständlich zu sein, daß eine solche Frau auch einen Butler beschäftigte. Er verbeugte sich tief, gab Dorothea einen Handkuß, seufzte laut und begleitete sie zu Walters altem, zerbeultem Citroën.
Auch das nahm er hin. Es war heute ›in‹, gewaltig tiefzustapeln. Man kann sich einen Rolls-Royce leisten, fährt aber eine Ente. Darin zeigt sich wahrer Reichtum …
»Du bist der gemeinste Sohn, der je geboren wurde!« sagte Dorothea, nachdem sie abgefahren waren und Walter dem traurigen Tornazzi, der richtige Dackelaugen bekommen hatte, nachwinkte. »Du läßt deinen Vater frühzeitig sterben, funktionierst ihn hinterher zum Butler um und benimmst dich wie ein Kuppler! Wie soll das enden? Ich will diesen Tornazzi nie wiedersehen. Nie!«
»Er kann dir gefährlich werden, nicht wahr, Mami?«
»Blödsinn …«
»Oh, ihr Engelchen, jubiliert: Mami kann noch rot werden!«
»Ich werde so lange nicht mehr an den Strand gehen, bis ich wieder vernünftig aussehe.«
»Enrico wird anrufen. Darauf leiste ich jeden Eid.«
»Paps wird ihn abschmettern!«
»Ein Butler schmettert keinen Tornazzi ab, das dürfte sicher sein.«
»Das ist ja alles so gemein, auch Tornazzi gegenüber. Er glaubt deinen ganzen Unsinn und macht sich Hoffnungen …«
»Es liegt an dir, sie zu erfüllen …«
»Bei Gott, ich haue dir eine runter, trotz deines Alters!« sagte Dorothea wütend. »Was hältst du eigentlich von deiner Mutter?«
»Sie ist die schönste Mutter, die es gibt! Wenn du so, wie du jetzt aussiehst, Paps in Bamberg vom Gymnasium abholst, wird er entlassen werden – wegen sittlicher Gefährdung der ihm anvertrauten Jugendlichen. Mami, du bist eine Wucht!«
Es hatte keinen Sinn, mit Walter weiter zu diskutieren. Außerdem beschäftigte Tornazzi seltsamerweise Dorotheas geheimste Gedanken. Sie empfand das – noch seltsamer – als wohltuend und nannte sich im gleichen Atemzug eine unmögliche und verwerfliche Person.
Als Dorothea und Walter gegen zwei Uhr mittags noch nicht wieder am Strand waren, wurde Hermann Wolters unruhig. Er packte seine Zeitungen zusammen, verließ die neunte Liegestuhlreihe und ging hinunter zum Meer. Eva, Gabi
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