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Mit Fünfen ist man kinderreich

Mit Fünfen ist man kinderreich

Titel: Mit Fünfen ist man kinderreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyn Sanders
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ununterbrochen. Hatten die Knaben anfangs noch die ganze Straßenbreite vom Schnee befreit und zusätzlich Trampelpfade rund ums Haus geschaffen, so schippten sie am zweiten Tag nur noch einen knapp bemessenen Durchgang. Am dritten Tag streikten sie.
    Rolf, der abends den Wagen nicht in die Garage fahren konnte, weil die Einfahrt zugeschneit war, verspürte einen ungewohnten Drang zu körperlicher Betätigung, griff sich einen Schneeschieber und ging ans Werk. Zwanzig Minuten später war er wieder im Haus und am Telefon. Dabei ging das gar nicht! Eine Leitung war durch die Schneemassen gebrochen. Jetzt konnte er nicht einmal an maßgeblicher Stelle seinen geplanten Protest wegen Mißachtung der Räumpflicht loswerden!
    Aber wenigstens hörte es jetzt zu schneien auf. Dafür kam ein Kälteeinbruch und verwandelte den Pulverschnee in einen Eispanzer. Nun kriegten wir ihn überhaupt nicht mehr weg. Und dort, wo wir ihn weggeschaufelt hatten, bildete sich eine Schlitterbahn, auf der man hätte streuen müssen. Hätte!
    In einem ölbeheizten Haus gibt es keine Asche. Der Sand, den wir uns von einer nahegelegenen Baustelle hätten holen können, war von einer Schneeschicht bedeckt und außerdem steinhart gefroren. Frau Häberles Vorrat an Streusalz war längst aufgebraucht. Tagelang glichen unsere auf ein Minimum beschränkten Ausflüge ins Dorf einer Gletschertour, und mir ist es heute noch unbegreiflich, daß sich niemand von uns die Knochen gebrochen hat.
    Wir hatten ursprünglich unsere Hoffnung auf den Schneepflug gesetzt, der in mehr oder weniger – überwiegend weniger -regelmäßigen Abständen die Hauptstraße entlangfuhr und die Schneemengen zur Seite schaufelte. Dieser Schneepflug war städtisches Eigentum und wurde nur eingesetzt, um den Verkehr zwischen den einzelnen Dörfern zu ermöglichen. Innerhalb der Ortschaften hatten die Gemeinden für Abhilfe zu sorgen, was in der Praxis bedeutete, daß jeder selbst sehen mußte, wie er mit dem Problem fertig wurde. Rolfs Vorstoß bei der Verwaltung hatte ihm lediglich die Gewißheit erbracht, daß von dort keine Hilfe zu erwarten war. Man hatte unsere Zufahrtsstraße kurzerhand als Privatweg deklariert, da es ja außer uns noch keine weiteren Anlieger gäbe, und für Privatwege sei man nicht zuständig. Unser Hauswirt, der in Stuttgart lebte und sich nie bei uns sehen ließ, wußte auch keinen Rat. Er erklärte am Telefon, der Ausbau der Straße sei ihm seinerzeit zugesichert worden, aber er könne schließlich nichts dafür, wenn die anderen Grundstücke nicht bebaut würden. Ob sie denn überhaupt schon verkauft seien?
    Ende November taute es endlich, aus der Eisbahn wurde wieder ein Sumpf, der beim nächsten Frost die Wagenspuren zu messerscharfen Hindernissen werden ließ. Ab und zu fror auch die Garagentür zu, so daß Rolf sein Auto über Nacht im Freien stehenlassen mußte und am nächsten Morgen fluchend Schnee und Eis von der Karosserie kratzte, während wir anderen mit einer antiquierten Petroleumfunzel die Garagentür wieder auftauten.
    Ich hatte inzwischen auch die letzten Reste von Begeisterung für das Landleben verloren! Es gab zwar keine Insekten mehr um diese Jahreszeit – wenn man von den Spinnen absieht, die das ganze Jahr über aus allen möglichen Winkeln in das Haus krochen –, aber unser Wohnzimmer konnten wir immer noch nicht benutzen. Jetzt war es zu kalt! Offensichtlich waren die Fenster nicht richtig abgedichtet, denn obwohl wir rollenweise die garantiert schützenden Klebestreifen verbrauchten, bildeten sich bei entsprechendem Wind kleine Schneeverwehungen auf den Fensterbrettern und anschließend muntere Rinnsale in Richtung Teppichboden. Ich stellte Gefäße auf, und manchmal hörten wir stundenlang ein vielstimmiges Kling-klingkling, wenn es in die Schüsseln tropfte. Bekanntlich kann man schon von einem tropfenden Wasserhahn wahnsinnig werden, die Wirkung von einem halben Dutzend ist noch viel durchgreifender. Ab und zu trat auch mal jemand versehentlich in ein Schüsselchen hinein, und schließlich räumte ich die Dinger wieder weg und ließ das Tauwasser auf den Boden tropfen. Das war nicht so laut, und mein Teppichbelag war es ja sowieso nicht.
    Ich glaube, zu ungefähr dieser Zeit geschah es auch, daß ich Rolf zum erstenmal etwas von ›verwünschte Einöde‹ und ›wenn ich das vorher gewußt hätte‹ murmeln hörte. Ich bemühte mich redlich, das winzige Flämmchen der Unzufriedenheit zu schüren. Für mich stand ohnehin

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