Mit Haut und Haar (German Edition)
hatte endlos lange Beine und Clarissa bestaunte ihre Figur, diese gute Figur, die sie abgab, als sie vor der Staffelei stand, mit leicht schräg gelegtem Kopf, das eine Bein ein wenig nach vorne gestellt, den Po leicht nach rechts angewinkelt, die langen, feuerroten Locken, die ihr über die Schultern fielen, trotz der Haarspange, die sie eigentlich bändigen sollten. Eine wirklich außergewöhnliche Frau. Atemberaubend. Clarissa fühlte sich im gleichen Raum mit dieser mondänen, extravaganten Erscheinung erst recht wie eine kleine, graue Maus.
»Wann sind die Bilder entstanden?«
»Alle in den vergangenen zwölf Monaten«, sagte Clarissa.
»Sie sind wunderbar.«
»Wirklich?«
Patrizia nickte. »Hervorragend. Ganz einzigartig.«
Sie drehte sich zu Clarissa herum. »Ich würde sie gerne ausstellen.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
Patrizia nickte und lächelte. »Doch. Könnten Sie sich überhaupt von diesen Bildern trennen?«
»Für eine Ausstellung? Aber sicher.«
»Ach«, lachte Patrizia. »Ich meinte vor allem, wenn jemand eines kaufen möchte. Es bringt nicht viel, wenn die Künstlerin daneben steht und sich nicht von ihrem Bild trennen möchte.«
»Ich verkaufe es gerne, aber ich bezweifele, dass meine Bilder Käufer finden werden. Sie sind nicht gut genug.«
Patrizia bedachte sie mit einem langen, ernsten Blick, der sich schließlich in ein Lächeln kehrte. »Ihre Bilder sind sehr aussagekräftig. Voller Trauer, aber sehr aussagekräftig. Die Menschen mögen so etwas.«
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Bild zu, das sie auf die Staffelei gestellt hatte. »Manchmal würde ich gerne erfahren, welche Gefühle Künstler dazu veranlassen, ein Werk zu schaffen«, sagte sie nachdenklich und bedachte Clarissa mit einem kurzen, fragenden Blick.
»Meist sehr extreme«, antwortete Clarissa und zeigte sich bereit, den Raum zu verlassen. Plötzlich wurde ihr der Aufenthalt hier mit dieser Frau zwischen all ihren Bildern und Skulpturen etwas unheimlich. Es fühlte sich an, als würde sie unaufgefordert in ihr Innerstes vordringen.
»Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Kaffee vielleicht? Oder einen Cognac?«
»Hilfe, ich muss noch Auto fahren«, sagte Patrizia lächelnd. »Aber eine Tasse Kaffee nehme ich gerne.«
Clarissa bot ihr einen Platz auf dem Sofa an und flitzte in die Küche um Kaffee und Geschirr zu holen. Patrizia hatte den Aschenbecher auf dem Tisch bemerkt und zog ein Päckchen Zigaretten hervor. Sie steckte eine der Zigaretten auf eine silberne Zigarettenspitze und zündete sie mit einem silbernen Zippo-Feuerzeug an. In dieser eigentlich so belanglosen Geste wirkte sie unglaublich extravagant und gleichzeitig elegant. Die Art und Weise, wie sie auf dem Sofa saß, sich lächelnd und mit wacher Aufmerksamkeit im Wohnzimmer umschaute, empfand Clarissa als einzigartig und aufregend. Aufregender noch als die Tatsache, dass es sich bei dieser Frau um eine Galeristin handelte, die ihr soeben mit Kennerblick Komplimente zu ihren Bildern gemacht hatte und diese ausstellen wollte. Clarissa fühlte sich so hausbacken und so unattraktiv, als trüge sie eine Kittelschürze und einen Dutt.
»Schönes Haus«, sagte Patrizia.
»Danke«, sagte Clarissa.
»Geschmackvoll eingerichtet. Sie haben einen sehr einfachen, aber eleganten Stil, das gefällt mir.«
Clarissa lachte. »Woher wollen Sie das wissen? Vielleicht hat mein Mann ja das Haus eingerichtet?«
»Nein«, sagte Patrizia. »In 99 Prozent aller Fälle sind es die Frauen, die Häuser und Wohnungen einrichten. Das ist kein Vorurteil, wahrscheinlich könnten Männer das auch sehr gut, aber ich denke, in den meisten Fällen übernehmen die Frauen das automatisch. War bei Ihnen sicher auch nicht anders.«
»Nein«, lachte Clarissa. »Mein Mann war auch froh darum, dass ich das übernommen habe. Aber so schön kann die Einrichtung nicht wirken, die Möbel sind uralt und haben zwei Kinder überleben müssen.«
Patrizia lächelte. »Trotzdem sieht man, dass Sie sich Mühe gegeben haben.«
Sie sah sich noch einen Moment um, aber schließlich beugte sie nach vorne und sah Clarissa direkt in die Augen.
»Also«, sagte sie. »Ich kann Ihnen natürlich nicht versprechen, dass ihre Bilder sich verkaufen werden. Aber ich wäre bereit, sie auszustellen. Von Ihnen bräuchte ich eine Auswahl Bilder, vielleicht ein paar Gedanken, die Sie sich schriftlich zu dem einen oder anderen Bild machen. Ein paar Namen wären auch nicht schlecht. Ich brauche von
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