Mit Haut und Haar (German Edition)
sein.«
»Geil, wir werden reich!«
Clarissa lachte. »So würde ich das nicht sehen, junger Mann. Es ist eine Chance, aber eine ganz kleine. Was glaubst du wohl wie viele Menschen es gibt, die sich für meine Bilder interessieren? Ich denke, sie sind nicht so besonders gut.«
»Papa sagt, sie sind fantastisch.«
»So, sagt Papa das?«
Clarissa starrte in den Spiegel. Er sagte das also nicht nur ihr, sondern auch seinen Kindern. Gleichzeitig schalt sie mit sich selbst. Wie konnte sie ihn nur verdächtigen, er würde ihr Honig ums Maul schmieren wollen und unehrlich ihr gegenüber sein? Vielleicht weil sie den Betrug noch immer nicht ganz überwunden hatte. Vielleicht weil sie ihm noch immer nicht wirklich vertraute. Vielleicht weil sie sich seelisch übernommen hatte, mit ihrem Entschluss, bei ihm zu bleiben, ihm zu verzeihen. Vielleicht, weil es in ihrem Leben keinen Tag gab, an dem sie nicht daran denken musste, was er ihr angetan hatte. Es gab auch keinen einzigen Tag, an dem sie nicht darüber nachdachte, ihn doch noch zu verlassen. Gleichzeitig aber wusste, dass sie es nicht schaffte, weil sie ihn immer noch zu sehr liebte. Vor allem aber tat es ihr weh, dass kein einziger Tag verging, an dem sie nicht spürte, dass sie ihn permanent bestrafte obwohl sie es nicht wollte. Sie konnte einfach nicht anders. Es gab Momente, in denen sie von der Bitterkeit, die sie in sich trug, überrollt wurde.
Ihm gefielen ihre Bilder. Obwohl sie die Traurigkeit widerspiegelten, das Entsetzen, das noch immer in ihr steckte, das Kino in ihrem Kopf, das immer wieder diesen einen, so schmerzhaften Film ablaufen ließ ohne dass sie es steuern konnte. Das sie dazu brachte, ihn immer wieder verbal abzustrafen.
Aber er gab sich so viel Mühe. Versuchte sie aufzubauen. Lobte ihre Malerei. Clarissa wusste, es war die richtige Entscheidung gewesen, wieder mit dem Malen anzufangen. Völlig egal, was jetzt irgendeine Kunsttussi dazu sagen würde. Es war ihr einziger Weg mit dem Schmerz fertig zu werden, der sie auch jetzt noch, ein Jahr später und trotz Daniels ehrlicher Bemühungen, innerlich zu verbrennen drohte. Manchmal, wenn sie etwas getrunken hatte, lachte sie in ihrer Verbitterung über sich selbst. Millionen Männer gingen täglich fremd. Millionen Frauen wussten das. Akzeptierten es stillschweigend. Konnten irgendwann wieder verzeihen. Warum sie nicht? Warum zerriss sie dieser Betrug noch immer innerlich?
Als es an der Tür klingelte, überprüfte Clarissa noch einmal ihr Äußeres im Spiegel und lief nach unten, um die Tür zu öffnen. Vor ihr stand eine sehr auffällige Frau, vielleicht Mitte dreißig, mit feuerroter, langer Lockenmähne bis zur Hüfte, die sie mit einer breiten Spange im Nacken gebändigt hatte. Strahlende, wasserblaue Augen lachten ihr entgegen und Clarissa ergriff die Hand die sich ihr zum Gruß bot.
»Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Clarissa.«
»Patrizia«, sagte die Frau. »Darf ich?«
Clarissa trat beiseite und ließ Patrizia herein. »Die Bilder stehen oben«, sagte sie, und lief ihrem Gast voraus, die Treppe nach oben. Patrizia folgte ihr, beachtete sehr aufmerksam die Bilder die im Flur hingen.
»Sind diese Bilder auch von Ihnen?« fragte sie.
»Ja. Aber sie sind schon alt. Ich habe sie vor mehr als zehn Jahren gemalt.«
Ein wenig verlegen über ihre eigene Eitelkeit, aus der heraus sie diese Bilder in den Flur gehängt hatte, lächelte sie.
»Ich wollte sie schon lange abhängen, aber mein Mann möchte sie dort lassen. Er findet sie irgendwie gut.«
»Aha«, murmelte Patrizia. »Irgendwie sind sie das auch.«
»Soso«, sagte Clarissa leise, fast unhörbar, und öffnete die Tür zu ihrem Reich, ihrem ehemaligen Gästezimmer, in dem sich jetzt die Staffelei mit einer frischen, auf einen Keilrahmen gespannten Leinwand befand. Zahllose Bilder waren an den Wänden angelehnt und Patrizia stürzte sich sogleich darauf, nahm sie vorsichtig nacheinander auf und ließ sie auf sich wirken.
»Das sind ja unglaublich viele Bilder«, sagte Patrizia staunend. »Da bin ich aber froh, dass ich hier her gekommen bin und Sie nicht damit zu mir bestellt habe.«
Clarissa lächelte unsicher. Sie stand mit verschränkten Armen mitten im Raum und fühlte sich irgendwie hilflos.
Patrizia stellte das Bild, das sie in der Hand hatte, auf den Boden und griff nach einem weiteren, um es sich näher anzuschauen. Schließlich nahm sie die leere Leinwand von der Staffelei und stellte das Bild darauf.
Diese Frau
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