Mit Haut und Haaren
Versuchst du auch, eine der vierzig bedeutendsten Smith-Spezialistinnen
zu werden?«
Oberstein steht abrupt auf. »Gehen wir an die Bar«, sagt er zu Gwendolyne.
Am Tresen stehen die Philosophen zusammen. Sie reden über Cognac.
Gwendolyne fragt: »Haben die hier auch so
was wie Likör?«
Sie schaut etwas missmutig, aber vielleicht bildet Oberstein sich das
nur ein.
Er macht kurz Konversation mit den Philosophen, dann sondert er sich
mit Gwendolyne ab. Er versucht, ein Gespräch mit ihr zu führen, doch immer wieder
wandert sein Blick zu den anderen, allen voran Sven Durano.
Nach einer Viertelstunde stellt sich einer der [590] Philosophen zu ihnen,
Professor Skiba, wenn Oberstein richtig gehört hat, auf jeden Fall hat der Mann
eine Stelle in Berkeley, und Oberstein tippt auf eine osteuropäische Herkunft. Er kultiviert seinen Akzent und muss auf die siebzig zugehen.
Professor Skiba macht ein paar allgemeine Bemerkungen zur Tagung und
beginnt dann, von einem seiner Bücher zu erzählen, das – wenn Oberstein richtig
verstanden hat, was nicht einfach ist, denn Skiba nuschelt und spricht schnell – The Mysticism of Meaning heißt,
was aber genauso gut The Mysticism of Being sein könnte
oder vielleicht auch The Mysticism of Stealing. Oberstein
fragt lieber nicht.
Nach zehn Minuten zunehmend begeisterten Erzählens bestellt Professor
Skiba in perfektem Französisch drei Cognac, von denen er zwei für sich reserviert
und den dritten großzügig Roland hinüberschiebt.
Auf Oxford-Englisch, wenn auch mit einem osteuropäischen Einschlag, wendet
der Professor sich darauf an Gwendolyne, die er erst jetzt zu bemerken scheint:
»Und von welcher Universität kommen Sie?«
»Eine meiner Mitarbeiterinnen«, stellt Oberstein Gwendolyne hastig vor.
Professor Skiba schiebt Oberstein förmlich beiseite, fasst das Mädchen
am Arm und murmelt: »Mein Gott!«
Darauf wendet er sich wieder an Roland: »Und ich dachte immer, Wirtschaftswissenschaftler wären langweilige
Gesellen!« Der Professor nimmt einen großen Schluck Cognac, als würde er sich den
Mund damit spülen. Dann sagt er: »Im Jahr 1977 hatte ich einen großen Artikel im San Francisco Chronicle über den Fall Polanski. Ich will
nicht [591] sagen, dass es der definitive Beitrag zu der
Angelegenheit war, aber es kommt dem doch ziemlich nah. Ich habe den Artikel Roman
auch noch persönlich geschickt, aber natürlich nie ein Wort des Dankes erhalten.«
»Unschön«, antwortet Oberstein, der eilig seinen Cognac austrinkt.
»In dem Artikel habe ich dargelegt«, fährt der Professor fort und schließt
verzückt die Augen, »dass die Sache Polanski eine Metapher für die polnisch-amerikanischen
Beziehungen ist, wobei Polanski für Amerika steht und das arme Engelchen, diese
Samantha Geimer, in die Rolle Polens gedrängt wurde. Ich will nicht großtun, aber
man kann die polnisch-amerikanischen Beziehungen nicht wirklich begreifen, wenn
man meinen Artikel dazu nicht gelesen hat. Später habe ich den Beitrag auch noch
in mein Buch The Mysticism of Meaning aufgenommen. In
erweiterter und überarbeiteter Fassung natürlich.«
Meaning. Diesmal hat Oberstein es richtig gehört.
»Und sie hier, ist sie auch ein armes Engelchen?«, fragt der Professor.
»Pardon?«
Professor Skiba wendet sich jetzt direkt an Gwendolyne. Er legt ihr eine
Hand auf den Arm. »Bist du ein armes Engelchen?«, fragt er, das Glas Cognac in seiner
anderen, mit entrücktem Blick.
Oberstein beschleicht der Verdacht, dass der Professor nicht nur betrunken
ist, sondern auch ein klein wenig verrückt.
»Komm, lass uns gehen«, fordert er Gwendolyne auf.
»Ich hab den Artikel dabei, wenn ich dich morgen auf [592] der Konferenz
sehe, werd ich ihn dir geben«, ruft Skiba ihm nach.
Unterwegs zum Hotel meint Oberstein: »Trotz des Themas ist das hier eindeutig
keine wirtschaftswissenschaftliche
Tagung. Wirtschaftswissenschaftler
sind souveräner. Die fragen sich nicht, warum Leute Schokolade mögen oder ob das
auch gesund ist. Denen geht’s darum, dass die Leute auf
Schokolade verrückt sind.«
Im Hotelzimmer angekommen, sagt Gwendolyne: »Ich hab Ihnen was mitgebracht.«
Sie holt ihre Reitpeitsche aus der Tasche und gibt sie Oberstein.
»Und dein Pferd, was machst du bei dem ohne
Peitsche?«
»Ich habe zwei, ich dachte, Sie könnten was damit anfangen.«
Die Peitsche ist schön. Sie riecht ein bisschen nach Stall.
Oberstein legt sie aufs Bett.
Er streichelt Gwendolyne übers Haar.
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