Mit Haut und Haaren
küssen,
er entwickelte eine Energie und eine Zielstrebigkeit, die ihm im Alltag bisweilen
zu fehlen schienen.
Aufrecht an der Wand stehend, vögelte er sie, als gebe es nichts anderes
oder Schöneres auf der Welt, als sei das die Essenz, sei der Rest Zeitvertreib,
selbst die Satellitentelefone.
Hinterher legten sie sich auf das frisch bezogene Bett. Sie öffnete den Mund. »Siehst du’s jetzt?«, fragte sie.
[298] »Was?«
»Siehst du den Unterschied?«
»Oh, deine Zähne.« Er starrte ihren Mund an wie Leute im Museum bisweilen
ein Gemälde. »Ja, schön.«
Sie machte den Mund wieder zu, und er streichelte ihr liebevoll und verträumt
über die Wange. Seine Seele war irgendwo anders, seine Seele vögelte noch immer.
Dann stand er auf und nahm das Kondom ab. »Macht es dir was aus, wenn
ich mich nicht mehr anziehe?«, fragte er.
»Natürlich nicht. Schließlich ist es schon
spät.«
Er ging ins Bad und kam mit einem Frotteemantel zurück, in dem er komisch
aussah, vielleicht weil der Mantel ihm etwas zu klein war.
Ihrer Erfahrung nach sorgt höchstes Glück stets für Verwirrung. Verwirrt
war sie nicht, und wenn, merkte sie nichts davon, doch sie war fröhlich, als wäre
ihr soeben ein kniffliger Taschenentwurf gelungen. Das
Lösen gestalterischer Probleme befriedigt sie.
»Du kannst auch hier schlafen«, bot Wytse ihr an.
»Ich muss morgen früh aufstehen«, erwiderte sie, während sie sich wieder
anzog.
Er begleitete sie ins Wohnzimmer. »Eigentlich finde
ich es prima so«, sagte er, neben der Lampe seiner Ex.
»Was?«
»Keine Beziehung. Freiheit. Kein Gemecker. Keine Unterdrückung. Soll
sie ihr Kind doch auf diesem Kreativcampingplatz kriegen.«
»Keine Unterdrückung?«, echote sie in fragendem Ton, doch es kam keine
Antwort.
[299] Im Flur umarmte er sie stürmisch. Umarmungen lügen nicht, genau wie
Musik.
»Ich hoffe, Obama gewinnt«, sagte er.
Sie nickte und wandte sich schon zur Tür, da umarmte er sie noch mal.
Er küsste sie, auf den Hals, auf den Mund, und noch mal auf den Hals, noch mal auf
den Mund. »Ich will dich«, flüsterte er, im selben Ton,
wie er eben gesagt hatte: »Ich hoffe, Obama gewinnt.«
Jetzt vor der Tür fühlt sie sich versucht, sofort Roland anzurufen. Sie
weiß, sie wird es nicht tun, aber am liebsten würde sie ihn fragen: »Willst du mich
immer noch?«, oder: »Wann willst du mich?« Oder auch: »Wie soll ich sein, dass du
mich willst?« Vielleicht sogar: »Sollen wir aufhören, einander zu wollen?« Als sie
schon auf dem Rad sitzt, zückt sie ihr Handy.
3
Jason Ranzenhofer sitzt auf dem Bett in seinem Hotelzimmer
in Albany. Er findet Albany eine scheußliche Stadt. Vier
Jahre lang war er hier im Senat des Staates New York , bevor er Bezirksbürgermeister von Brooklyn wurde. Bezirksbürgermeister ist besser
als State Senator. Den ganzen Tag hat er Gespräche geführt:
mit Senatoren, Assistenten von Senatoren und ihren Praktikanten. Wähler sind anstrengend,
aber alles in allem sind Politiker womöglich noch anstrengender.
[300] Er hat mit ehemaligen Kollegen zu Abend gegessen und nebenbei einige
seiner Ideen zur Sprache gebracht. Er hat keine Ideen, das weiß er, jedenfalls keine
guten, aber das braucht man auch nicht, um sie trotzdem zur Sprache zu bringen.
Das ist die Kunst des Machbaren. Er ist ein Selfmademan. Hart arbeitende Eltern
und Großeltern, die eine Druckerei gründeten und zu einem bis vor kurzem florierenden Familienbetrieb ausbauten.
Vor einiger Zeit spielte er noch mit dem Gedanken, zu den Bürgermeisterwahlen
von New York anzutreten, doch die Idee ließ er fallen. Bloomberg drückte die Möglichkeit
zu einer zweiten Wiederwahl durch, und gegen Bloomberg wird er nicht kandidieren.
Er ist zufrieden mit dem, was er hat: Bezirksbürgermeister. Brooklyn ist genau seine
Kragenweite.
Jason Ranzenhofer hat sein Jackett ausgezogen und in den Schrank gehängt,
seine Krawatte auf den Fernseher gelegt. Morgen muss er ein Stadtteilfest in Brooklyn
eröffnen, für seine Rede will er noch ein paar Stichpunkte
festhalten. Wer den Wähler ernst nimmt, muss seine Feste ernst nehmen, seine religiösen
Feier- und Trauertage.
Am liebsten wäre er mit dem Zug zurückgefahren, er fliegt nicht besonders gerne, doch seine Sekretärin hatte ihn
davon überzeugt, dass der Bürgermeister von Brooklyn das Flugzeug nehmen sollte.
Er sitzt mit seinem Notizbuch auf dem Bett und macht sich Stichpunkte.
Morgen im Flugzeug wird er sie am Notebook zu einer
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