Mit Herz und Skalpell
riss sich zusammen, tat einen tiefen Atemzug und beantwortete dann die Frage ausführlich und ohne zu stocken.
Alexandra schien zufrieden und nickte anerkennend. »Sehr gut. Merk dir die Schnittführung gut, dann darfst du es bald selbst machen.«
Nach und nach präparierte Alexandra das Operationsgebiet. Linda konnte ihren Blick kaum von Alexandras geschickten Fingern abwenden. Sie hatte schon viele Operationen gesehen, aber noch nie hatte sie jemanden erlebt, der so präzise und gleichzeitig so schnell und fingerfertig war. Jeden Schritt erklärte Alexandra ganz genau.
»Hast du bis hierhin alles verstanden?«, fragte sie schließlich.
Linda nickte.
»Gut, jetzt kommt der schwierigste Teil. Wir müssen den Teil des Darms mit dem Tumor entfernen.« Alexandra wandte sich an die OP-Schwester, die ihr ohne ein weiteres Wort das nächste Instrument reichte. »Linda, du musst den Haken jetzt gut festhalten.«
Kurze Zeit später hatte Alexandra den Tumor entfernt und ließ ihn in das Gefäß für die Pathologie fallen. »Ich bin sehr auf die Histologie gespannt«, bemerkte sie dabei. »Das sieht nicht nach typischem Darmkrebs aus. Halte mich auf jeden Fall auf dem Laufenden.«
»Natürlich«, sagte Linda.
Alexandra setzte ihre Arbeit fort und kümmerte sich um die verbliebenen Darmschlingen. Wieder war Linda fasziniert von Alexandras Fähigkeiten. Auch wenn es mal etwas heikel wurde, geriet sie nicht in Panik, sondern blieb jederzeit ruhig und gewissenhaft.
Die OP-Schwester reichte Linda eine Klemme. »Frau Kirchhoff ist eine der besten Chirurginnen hier«, sagte sie, als hätte sie Lindas bewundernde Blicke bemerkt. Sie zwinkerte Linda ganz leicht zu.
Lindas Wangen röteten sich. Sie war froh, dass sie den Mundschutz trug.
»Unsinn«, erwiderte Alexandra. »Ich arbeite einfach nur hart an mir.«
Inzwischen konnte Linda häufig schon selbständig erkennen, wann welcher Handgriff nötig war. Manchmal war sie sogar mutig genug, ihn auch anzuwenden, bevor Alexandra sie dazu aufforderte – sie wusste, dass die meisten Chirurgen es nicht mochten, wenn man ihnen unaufgefordert dazwischenpfuschte. Doch Alexandra schien kein Problem damit zu haben. Sie lobte Linda sogar immer mal wieder, wenn sie etwas gut und richtig gemacht hatte.
Mittlerweile waren sie fast fertig. Es musste nur noch die Bauchwunde verschlossen werden. Alexandra wandte sich an Linda: »Ich denke, das solltest du machen. Du hast dich sehr gut geschlagen für deine erste Operation.« Sie reichte Linda Nadel und Faden und nickte ihr aufmunternd zu.
Lindas Finger zitterten leicht, als sie das Nahtmaterial entgegennahm. Dann begann sie. Mit jedem Stich wurde sie sicherer; ihre Finger schienen sich immer besser an all die Operationen zu erinnern, bei denen sie schon hatte nähen dürfen. Es ging fast wie von selbst. Endlich war die Wunde geschlossen.
»Morgen machen wir eine Gallenblase«, erklärte Alexandra. »Du wirst mir wieder assistieren. Also, informier dich vorher gründlich. Ich werde dich abfragen und will nicht enttäuscht werden.« Ihre Augen ruhten auf Linda.
In Lindas Bauch zog es gewaltig. War es Alexandras durchdringender Blick oder die Möglichkeit, am nächsten Tag gleich wieder bei einer Operation zu assistieren?
Alexandra nickte ihr abschließend zu. »Gut, ich verschwinde. Linda, hilf noch beim Umlagern mit. Wir sehen uns nachher auf der Station.«
Beschwingt betrat Linda den Vorraum zur Umkleide. Sie hatte ihre erste Operation gemeistert, und Alexandra war offenbar zufrieden – sie hatte Linda sogar mehrfach gelobt. Und das, obwohl Yvonne behauptet hatte, Alexandra würde niemals loben.
Linda warf die Schuhe in die dafür vorgesehene Kiste, zog das Oberteil und die Hose aus und stopfte alles in den bereitstehenden Wäschesack. Als sie dann in den eigentlichen Umkleideraum trat, sah sie sofort, dass sie nicht allein war.
»Hallo, schön, dass ich dich jetzt einmal richtig kennenlerne. Ich bin Melanie.« Die schwarzhaarige Frau kam auf Linda zu und reichte ihr die Hand.
»Linda Willer«, entgegnete Linda.
»Du hast in der Viszeralchirurgie angefangen?«
Linda nickte. »Genau.« Die braunen Augen, die sie kritisch musterten, waren ihr unangenehm. Sie griff nach ihrer Hose und ihrem T-Shirt, um wenigstens nicht länger in Unterwäsche dazustehen.
»Ich bin Unfallchirurgin«, fuhr Melanie fort. »Ich habe dich doch neulich mit Alexandra beim Mittagessen gesehen, oder?«
Linda schlüpfte in ihre weiße Hose und knöpfte
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