Mit Herz und Skalpell
eine alberne Schwärmerei. Mehr nicht.
Sie machte sich auf den Weg in die Notaufnahme. Schon im Warteraum saßen jede Menge Menschen . Hoffentlich sind das nicht alles chirurgische Patienten, dachte Linda im Vorbeigehen.
»Linda?« Thomas, der Kollege, den sie ablöste, erwartete sie an der Eingangstür. Kurz und knapp erklärte er Linda noch einmal, wo sich alles befand und an wen sie sich bei welchen Fragen und Problemen wenden konnte. Schließlich übergab er ihr die noch verbliebenen Patienten.
Linda stürzte sich in die Arbeit. Während sie sich um Patienten mit akuten Bauchschmerzen und andere mit allen möglichen Verletzungen kümmerte, ließ die Aufregung allmählich nach.
Die Zeit verging tatsächlich wie im Flug. Zwischendurch hatte irgendjemand sie gefragt, ob sie etwas zu essen bestellen wollte, und Linda hatte sich für eine Pizza entschieden. Doch dann hatte sie weiter Knochen begutachtet, Platzwunden genäht und Bäuche geschallt.
Erst als der Bote die duftenden Kartons an ihr vorbei in den Aufenthaltsraum trug, bemerkte sie, wie hungrig sie war. Und als hätte ihr Magen nur auf ein Zeichen gewartet, knurrte er laut.
»Kleine Pause?« Karina, die neurologischen Dienst hatte und ebenfalls in der Notaufnahme beschäftigt war, tippte Linda auf die Schulter. »Mit leerem Magen kann man nicht gut arbeiten.« Sie lächelte.
Überrascht stellte Linda fest, dass es bereits nach zehn Uhr war. Seit dem Mittagessen hatte sie nichts mehr gegessen. »Du hast recht«, stimmte sie zu und folgte Karina in den Aufenthaltsraum.
»Und wie läuft es bei dir?«, fragte Karina, nachdem sie Platz genommen hatten.
»Ich bin zufrieden. Es könnte schlimmer sein.« Linda biss in ihre Thunfischpizza.
Karina lachte. »Ich weiß noch sehr gut, wie nervös ich vor meinem ersten Dienst war. Und dann war alles viel weniger schlimm, als ich es mir ausgemalt hatte.«
»Hey, Mädels!« Benjamin Speier, ebenfalls ein Chirurg, der in dieser Nacht als Notarzt unterwegs war, kam in den Raum. Er griff nach dem letzten Pizzakarton, ließ sich auf einen Stuhl fallen und warf seine orangefarbene Jacke neben sich. Sein T-Shirt spannte sich um seine muskelbepackten Oberarme.
Die beiden Frauen erwiderten den Gruß, dann wandte Linda sich wieder an Karina. »Außerdem hat Alexandra mir angeboten, dass ich sie jederzeit anrufen darf.«
Karina starrte sie entgeistert an. Auch Benjamin drehte sich ruckartig zu ihr. »Sie hat was?«, platzten beide gleichzeitig heraus.
Linda senkte den Kopf. Schon wieder. Sie musste sich allmählich daran gewöhnen, dass Alexandras Verhalten ihr gegenüber offenbar alles andere als normal war.
»Unsere Alexandra?« Benjamin runzelte die Stirn. »Das glaube ich nicht.«
Lindas Wangen glühten. »Ähm . . . doch«, stotterte sie. Sie hätte nichts sagen sollen, ganz klar – erst recht nicht, wenn noch ein anderer Chirurg zugegen war. Verdammt. Sie biss sich auf die Zunge.
»Wahrscheinlich will sie sich gerade bei allen einschleimen«, mutmaßte Benjamin, nahm ein Pizzabrötchen aus der Tüte und bestrich es mit Kräuterbutter.
»Warum das?« Karinas Neugierde schien geweckt.
»Wegen der anstehenden Neubesetzung. Da will sie sich bei allen beliebt machen.«
»Welche Neubesetzung?«, erkundigte sich Linda.
»Ich wette, sie will Leitende Oberärztin werden.«
»Warum . . .?« Linda wusste immer noch nicht, was Benjamin meinte.
Benjamin trank sein Glas in einem Zug leer. »Habt ihr denn noch nicht gehört, dass Rainer Strobel in den Ruhestand geht? Und jetzt werden die Messer für den Kampf um seine Nachfolge gewetzt.« Er grinste. »Diese Chance will sich keiner entgehen lassen.«
Linda lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Das ergab durchaus Sinn. Alexandra war ehrgeizig, und diese Stelle wäre nur der logische nächste Schritt in ihrer Karriere. Ihr war nicht klar, warum sie plötzlich einen Stich in der Brust spürte.
Karina sah sie fragend an: »Arbeitest du nicht bei ihr auf der Station? Hat sie nichts erzählt?«
Linda schüttelte den Kopf. »Nein, darüber hat sie kein Sterbenswörtchen verloren.« Der Stich in ihrer Brust verstärkte sich.
Aber hatte sie wirklich erwartet, dass Alexandra solche wichtigen Dinge mit ihr teilen würde? Warum hätte sie das tun sollen? Es ging Linda doch überhaupt nichts an. Sie waren keine Freundinnen, sondern nur Oberärztin und Assistenzärztin.
Benjamins Pieper schrillte los. »Ich muss abhauen. Ciao!« Er sprang auf, griff seine Jacke und rannte
Weitere Kostenlose Bücher