Mit Herz und Skalpell
schrill.
»Arbeiten.«
»Unsinn. Linda Willer und am Wochenende arbeiten – das passt aber nun wirklich nicht zusammen.«
»Und was sollte ich deiner Meinung nach eher tun?«, fragte Linda, nur um nicht länger verspottet zu werden. Sie wusste selbst, wie ungewohnt das alles in den Ohren ihrer besten Freundin klingen musste. Bisher hatte sie sich am Wochenende immer Freiräume gegönnt.
»Heute Abend ist doch Klaras Geburtstagsfeier«, erinnerte Janne. »Ich dachte, wir gehen zusammen hin.«
Linda seufzte. Das hatte sie völlig vergessen. Ein Abend mit ihrer Hockeymannschaft hatte meistens zur Folge, dass sie den nächsten Tag auch gleich abschreiben konnte. Es wurde in der Regel nicht nur sehr spät, sondern auch feucht-fröhlich. »Ich weiß nicht«, zögerte sie deswegen. Die Zeit für ihr Poster lief ihr davon. Eigentlich musste sie dieses Wochenende wirklich nutzen.
»Sei keine Spielverderberin«, bat Janne. »Die anderen halten dich mittlerweile schon alle für eine Langweilerin. Du unternimmst gar nichts mehr mit uns.«
»Ich muss ja auch arbeiten. Und falls es dir entgangen sein sollte, ich habe einen anstrengenden und verantwortungsvollen Job.« Linda biss die Zähne aufeinander. Sie verstand Jannes Frust ja, aber allmählich nervte er sie.
Janne maulte: »Ja, ja . . . Langsam wirst du wie dein Vater. Er wäre stolz auf dich. Das war doch immer das, was er wollte: eine strebsame Linda.«
Linda blieb einen Moment die Luft weg. Dann tobte sie: »Nimm das sofort zurück!«
»Was denn? Das ist doch die Wahrheit. Guck dich doch an. Samstagabend bleibst du zu Hause, um zu arbeiten. Keine Partys mehr, nur noch Pflicht, bloß keinen Spaß.« Lindas Ausbruch ließ Janne offenbar kalt. »Früher warst du nicht so. Im Gegenteil, da hast du dich genauso über solche Leute aufgeregt wie ich jetzt.«
»Aber ich bin nicht wie mein Vater.« Linda musste sich zusammenreißen, um das Telefon nicht gegen die Wand zu werfen. Der Apparat konnte zwar nichts für ihre Wut, aber Janne war gerade außer Reichweite.
»Dann komm heute Abend mit.«
»Also gut, du hast gewonnen«, lenkte Linda ein.
Sie konnte Jannes Grinsen förmlich hören, als diese sagte: »Na also, geht doch!«
Ob Janne recht hatte? In den letzten Wochen hatte Linda sich tatsächlich fast nur noch um die Arbeit gekümmert, ihr Privatleben war deutlich zu kurz gekommen. Dabei hatte sie früher kaum eine Party ausgelassen.
»Ich hol dich ab. Bis heute Abend«, verabschiedete sich Janne.
~*~*~*~
A lexandra nahm ein neues Buch aus dem Regal. Einen Thriller. Genau das Richtige für einen ruhigen und entspannten Samstagabend, perfekt, um etwas abzuschalten. Zwar hatte sie sich einen Stapel Arbeit aus der Klinik mit nach Hause genommen, aber sie hatte sich selbst die Regel auferlegt, wenigstens die Samstagabende freizunehmen.
Sie machte es sich auf ihrer Couch bequem.
Manchmal musste sie sich zwingen, die Arbeit wirklich nicht anzurühren – so auch heute. Schließlich hatte sie eigentlich nichts Besseres vor. Aber Regeln waren Regeln, auch wenn es ihre eigenen waren und sie niemandem sonst Rechenschaft schuldig war. Letztlich blieb sie doch ihren Prinzipien treu.
Alexandra schlug das Buch auf und überflog die ersten Zeilen. Das spätere Opfer war gerade auf dem Heimweg, zurück in ihre leere Wohnung, in der ein einsames Wochenende vor ihr lag. Das war jedenfalls die Hoffnung der jungen Frau, denn noch ahnte sie nichts von ihrem Mörder, der bereits auf sie wartete.
Alexandra seufzte. Wenn sie an der Stelle der jungen Frau wäre, würde sie jemand vermissen?
Wahrscheinlich nicht. Und vor Montag würde niemand bemerken, dass ihr etwas passiert war. Denn für gewöhnlich verbrachte sie ihre Wochenenden allein zu Hause, genoss die Stille und die Freiheit.
War es wirklich das, was sie wollte?
Vielleicht sollte sie doch mal wieder ausgehen, Gesellschaft suchen. Das letzte Mal musste eine Ewigkeit her sein, Alexandra konnte sich gar nicht mehr daran erinnern. Sicher, ab und an war sie zu irgendwelchen Festivitäten ihrer Arbeitskollegen eingeladen oder zu einem Abendessen mit anderen wichtigen Wissenschaftlern oder Medizinern. Doch einfach nur, um sich zu amüsieren, so wie sie es früher zumindest gelegentlich getan hatte, war sie schon sehr lange nicht mehr ausgegangen. Partys waren nichts, das sie vermisste. Ebensowenig wie die Gesellschaft anderer Personen.
Normalerweise . . .
An diesem Abend war es unerklärlicherweise anders. Eine
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