Mit Herz und Skalpell
einer Weile das Gespräch wieder auf.
Linda gab sich einen Ruck und schüttelte den Kopf. »Ein Jahr war ich in Lille. Erasmus-Austauschprogramm.« Bei dem Gedanken an das Jahr in Frankreich musste Linda lächeln. Es war eine wirklich schöne und lehrreiche Zeit gewesen. Hätte ihr nur Silvia zu dieser Zeit nicht das Herz gebrochen – ihre erste und bisher einzige große Liebe, die in der Zeit, als Linda im Ausland war, nichts Besseres zu tun gehabt hatte, als sie nach Strich und Faden zu hintergehen.
»Das hört sich spannend an«, meinte Alexandra.
Der Kellner räumte ihre Suppenteller ab und kam nach wenigen Augenblicken mit dem Hauptgang zurück.
Linda erklärte: »Das war es auch. Allerdings war das Studium dort nicht gerade der Mittelpunkt meines Lebens. Ich habe mich mehr für Land und Leute interessiert, so dass ich in Deutschland die zwei Semester noch einmal wiederholen musste.«
Alexandra nickte. »Wäre mir wahrscheinlich ähnlich gegangen. Wenn man diese Chance schon einmal hat . . . dann ist es auch nicht schlimm, wenn man noch mal etwas Zeit nachholen muss.«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, sagte Linda verblüfft. Von jedem anderen hätte sie eine solche Aussage vielleicht erwartet, aber nicht von Alexandra.
Die schüttelte amüsiert den Kopf. »Was du immer von mir denkst! Ich kann mich auch mal entspannen und an etwas anderes denken als die Arbeit.«
»Mein Vater sah das jedenfalls ganz anders.« Linda wurde wieder ernst. »Für ihn war das ein kleiner Weltuntergang und wieder einmal der Beweis meiner mangelnden Zielstrebigkeit.« Sie nahm eine große Gabel von ihrem Curry – und bereute das sofort. »Verdammt, das ist ja wirklich scharf!«
Alexandra konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. »Ich habe dich gewarnt.« Sie schob ihr Glas zu Linda: »Nimm einen Schluck. Das hilft.«
Linda trank beherzt, bis sie das Glas halb geleert hatte. Das Brennen in ihrem Mund wurde weniger. »Oh, entschuldige.«
»Kein Problem. Ich bestell uns beiden noch ein neues Glas.« Alexandra winkte den Kellner heran und gab die Bestellung auf, dann sah sie wieder zu Linda und hob eine Augenbraue. »Nimm dir das, was dein Vater sagt, nicht so zu Herzen.«
»Wenn das nur so einfach wäre«, murmelte Linda.
»Beweis ihm in München, dass er falsch liegt.«
Linda versuchte sich noch einmal an ihrem Hauptgericht, und in etwas besser dosierter Form schmeckte es sehr gut. »Ich werde es versuchen.«
»Übrigens . . .« Alexandra legte ihr Besteck beiseite und tupfte sich mit ihrer Serviette über den Mund. Bedeutungsvoll sah sie Linda in die Augen. »Ich habe mir etwas überlegt. Wenn du möchtest, natürlich nur.«
Was würde nun kommen? Linda hörte ebenfalls auf zu essen. »Was meinst du?«
»Was hältst du davon, wenn wir zusammen nach München fahren? Mein Auto ist ziemlich groß und bequem. Und schnell. Ich würde mich auch um das Hotel kümmern und uns ein Zimmer besorgen.« Alexandras Finger strichen die Tischkante entlang. » Jeder eins, natürlich. Es sei denn, du hast schon andere Pläne. Das wäre auch kein Problem.«
Gemeinsam mit Alexandra in einem Auto? Mehrere Stunden? Linda spürte wieder einmal das fast schon vertraute Kribbeln. Sie atmete tief durch. »Nein«, sagte sie, »ich habe noch keine anderen Pläne. Das wäre eine sehr gute Idee.«
Ein Strahlen breitete sich auf Alexandras Gesicht aus. »Schön. Dann kümmere ich mich um alles Weitere.« Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, und Linda hatte den Eindruck, dass sie richtig zufrieden aussah.
~*~*~*~
A ls eine der Ersten nahm Linda im Frühbesprechungsraum Platz. Einen Monat arbeitete sie nun schon an der Klinik; einunddreißig lehrreiche und abwechslungsreiche Tage. Und mittlerweile war sie sich sicher, dass sie eine gute Entscheidung getroffen hatte. Viszeralchirurgie war das richtige Fach für sie, und hier im Krankenhaus fühlte sie sich ebenfalls sehr wohl.
Langsam füllten sich die Reihen. Noch eine Minute, bis die Besprechung und damit der Arbeitstag losging. Sie nickte Andreas zu, der sich links neben sie setzte.
Eine hochgewachsene Frau kam um die Ecke. Linda erkannte Alexandra, noch bevor sie sie richtig wahrgenommen hatte. Mit gestrafften Schultern und leicht nach vorn geschobenem Kinn betrat Alexandra den Raum. Sie war ganz die erfolgreiche Chirurgin, ihr Auftreten ließ nicht ahnen, dass sie manchmal auch ganz anders sein konnte – zum Beispiel, wenn sie mit Linda allein war. Lustig. Sanft. Sogar
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