Mit Herz und Skalpell
Chirurg zum Ende gekommen war. Als sei dies das Startsignal, wurden nun Vorspeisenteller hereingetragen und auf den Tischen verteilt.
»Wo kommen Sie her?«, wandte sich einer der Tischnachbarn an Alexandra.
»Köln«, antwortete sie knapp.
Damit schien sich der Mann zufriedenzugeben. Auch wenn er gar nicht gefragt worden war, begann er ihr nun seine halbe Lebensgeschichte zu erzählen. Alexandra nickte immer wieder, scheinbar interessiert. Linda kannte jedoch ihre Körpersprache gut genug, um zu erkennen, dass Alexandras Interesse nur geheuchelt war.
Dennoch schien ihr Gegenüber Gefallen an Alexandra gefunden zu haben. Er konnte seine Augen kaum von ihr abwenden. Und Linda, die schweigend ihre Antipasti aß, musste sich ein Grinsen verkneifen, als er Alexandra völlig ungeniert fragte, was sie denn nach dem Essen noch machen würde.
»Das geht Sie nichts an, denke ich«, erwiderte Alexandra trocken, mit regungsloser Miene.
Der Kellner räumte die leeren Teller ab. Alexandras Gesprächspartner erwiderte nichts mehr.
Alexandra drehte sich zu Linda um. »Hat es dir geschmeckt?« Sofort breitete sich das Strahlen auf ihrem Gesicht aus, auf das der aufdringliche Tischnachbar vergeblich gewartet hatte.
»Ausgezeichnet.«
»Wenn diese Veranstaltungen nur nicht immer so steif wären.« Alexandra verdrehte die Augen, beugte sich etwas zu Linda und ergänzte flüsternd: »Und die anderen Gäste so langweilig.«
»Warum wolltest du dann unbedingt hier hin heute Abend?«, fragte Linda, gleichfalls im Flüsterton.
»Alles für die Karriere. Es geht immer darum, bekannte Leute zu treffen und neue Kontakte zu knüpfen.« Alexandra nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas. Dann fügte sie hinzu: »Außerdem habe ich heute wenigstens eine nette Begleitung. Das entschädigt für vieles.«
Linda senkte den Blick. »Vielen Dank.«
»Kein Grund, verlegen zu werden. Ich meine das ernst.« Alexandras Finger streiften Lindas Schulter. »Ich habe dir zu danken.«
Linda hielt den Atem an.
Als Hauptgericht wurde Ochsensteak serviert. Es roch herrlich, und Linda war froh, sich wieder dem Essen widmen zu können. Alexandra brachte sie vollkommen durcheinander. Sie konnte einfach nicht einordnen, was Alexandra von ihr wollte. War sie einfach nur nett? Oder empfand sie doch mehr? Diese zufälligen Berührungen, die tiefen Blicke – das alles musste doch irgendetwas bedeuten. Wenn Linda nur wüsste, was.
Alexandra wurde nun von ihrem direkten Nachbarn in ein Gespräch verwickelt, schien aber gar nicht zuzuhören. Abwesend stocherte sie auf ihrem Teller herum.
Auch Linda wechselte ein paar Worte mit dem jungen Assistenzarzt aus Berlin neben ihr. Zwischendurch wurde ihnen immer wieder Wein angeboten. Linda hatte bereits bemerkt, dass ihr Glas niemals lange leer blieb. Kaum hatte sie ausgetrunken, kam der Kellner wieder an ihren Tisch und schenkte nach. Sie musste aufpassen, dass sie nicht zu viel trank.
»Haben Sie schon etwas veröffentlicht?«, forderte der Berliner erneut Lindas Aufmerksamkeit.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht.«
»Ach, das wird noch«, sagte er mitleidig, als wäre es das Größte und Wichtigste überhaupt, was es zu erreichen gab.
Linda blieb einsilbig. »Vielleicht.« Ihr verging die Lust an dieser Unterhaltung.
Mit einem Mal spürte sie etwas Warmes auf ihrem Oberschenkel.
Alexandras Hand.
Sie schluckte. Alles um sie herum verschwamm.
»Hast du Lust, mich einen Moment vor die Tür zu begleiten, frische Luft schnappen?« Alexandra lehnte sich in Lindas Richtung.
Linda war nicht fähig zu sprechen, sie nickte nur. Auch wenn Alexandra ihre Hand längst wieder weggezogen hatte, konnte Linda sie immer noch ganz genau spüren, als habe sie sich in ihre Haut eingebrannt.
Draußen war es in der Zwischenzeit dunkel und merklich kälter geworden. Linda war froh über die Abkühlung. Gierig sog sie die Abendluft ein.
»Länger hätte ich diesen Möchtegern-Wissenschaftler neben mir nicht mehr ausgehalten«, stöhnte Alexandra. Sie ging ein paar Schritte zum Eingang des Nachbarhauses und setzte sich auf eine Treppenstufe. Dass sie sich ihre beigefarbene Stoffhose verschmutzen könnte, schien sie nicht zu kümmern.
Linda ließ sich neben ihr nieder. »Mir ging es ähnlich.«
»Tut mir leid, dass es so langweilig ist«, entschuldigte sich Alexandra, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt.
Linda lächelte. »Das ist es doch gar nicht.« Sie suchte Alexandras Blick, aber deren Augen wichen ihr aus.
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