Mit Herz und Skalpell
Kleine Pünktchen flimmerten vor ihren Augen .
Bloß nicht ohnmächtig werden . . .
»Ich habe deine Gesellschaft sehr genossen«, fuhr Alexandra fort. Ihre Stimme wurde noch leiser, war nur mehr ein Flüstern. »Genieße sie immer noch. Vielleicht sollte ich so etwas nicht sagen, aber du bist eine tolle und faszinierende Frau.«
Linda wagte nicht zu atmen, wagte auch nicht zu glauben, was sie da hörte. Und selbst wenn Alexandra das wirklich gesagt hatte – was sollte sie darauf erwidern?
Alexandras Händedruck verstärkte sich. »So etwas wie mit dir . . .« Sie brach ab.
Stumm wechselten sie die Straßenseite und liefen am Ufer der Isar entlang. Straßenlaternen leuchteten ihnen den Weg. Außer ihnen war keine Menschenseele mehr unterwegs.
»Ich kann mich nicht erinnern«, setzte Alexandra erneut an, »wann mir so etwas zum letzten Mal passiert ist. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, aber ich kann mich nicht dagegen wehren. Diese Gefühle . . .«
Lindas Magen glich einer Ameisenkolonie. Das konnte Alexandra doch nicht wirklich gesagt haben, es musste ein Traum sein . . . Das Kribbeln tat beinahe weh.
Dann blieb Alexandra stehen. »Das ist es.« Sie deutete auf ein weißes Reihenhaus. »Hier habe ich drei Jahre lang gewohnt.«
»Es ist schön«, brachte Linda mühsam hervor.
»Und von meinem Balkon hatte ich einen wundervollen Ausblick.« Alexandra drehte sich zu Linda. Sie standen sich genau gegenüber, nur wenige Zentimeter trennten sie. Ihre Blicke verfingen sich ineinander.
Es musste passieren.
Mit zitternden Fingern berührte Linda ganz zart Alexandras Wange, streichelte sie sanft. Ihr Herzschlag dröhnte in ihren Ohren.
Auch Alexandra streckte die Hand aus und strich Linda sacht das Haar zurück. Die Berührung löste einen Schauer der Erregung aus, vor dem Lindas Verstand kapitulierte.
Alexandras Lippen waren jetzt nur noch bloße Millimeter entfernt.
Sie wollte es doch auch, oder nicht? Für einen winzigen Moment schaltete sich Lindas Denken doch noch einmal ein: Wenn das hier auch von Alexandra ausging – warum schien es Linda dann, als stehe sie dicht vor einem Abgrund und könne jeden Moment hinabstürzen?
Dann trafen ihre Lippen aufeinander, und Linda dachte gar nichts mehr. Sie fühlte nur noch. Fühlte Alexandras Zärtlichkeit, die Stärke ihrer Arme, die sie umfingen. Alexandras Duft, überall. Alexandras weiche, aber feste Lippen, ihre Zunge . . .
Sie stürzte den Abgrund hinab. Sie fiel und fiel, und es gab kein Zurück mehr. Sie verliebte sich mit jedem Augenblick mehr in Alexandra.
Minuten vergingen, bis sie sich atemlos voneinander lösten. Sie sahen einander nicht an.
»Vielleicht sollten wir zurück ins Hotel gehen«, sagte Alexandra.
Linda nickte. Sprechen konnte sie nicht.
In diesem Moment fuhr ein Taxi vorbei. Alexandra setzte sich in Bewegung, um es anzuhalten. »Lass uns fahren. Von hier ist es doch noch eine halbe Stunde zu Fuß.«
Sie setzten sich gemeinsam auf die Rückbank. Alexandra nannte dem Fahrer die Adresse.
Linda achtete darauf, sie nicht zu berühren. Ihre Gedanken fuhren Achterbahn. Sie war sich nicht einmal sicher, was gerade passiert war, was es bedeutete. Was hatte sie nur getan? Wo sollte das enden?
Alexandras Hand suchte ihre, fand sie. Ihre Finger streichelten sanft über Lindas Handrücken.
Lindas Körper stand unter Strom. Überwältigt schloss sie die Augen. Sie wollte mehr von Alexandra. Wollte sie spüren, sie berühren, überall. Aber das durfte sie nicht. Sie musste vernünftig sein. Sie biss die Zähne zusammen.
»Sind Sie das erste Mal in München?«, fragte der Taxifahrer mit einem Blick in den Rückspiegel.
Das hatte Linda gerade noch gefehlt. Nach Smalltalk stand ihr der Sinn überhaupt nicht. Aber Alexandra ergriff das Wort und erklärte dem Fahrer kurz, dass sie schon öfter in München gewesen war und was sie erneut hierhergeführt hatte. Als sie ihre Ausführungen abschloss, waren sie auch schon am Hotel angekommen. Alexandra übernahm die Rechnung.
»Wollen wir noch etwas trinken?«, fragte sie Linda, als sie in der Hotellobby standen. »Die Hotelbar ist sehr gut.«
Linda holte tief Luft und straffte die Schultern. Sie hatte immer noch den Eindruck, durch einen dichten Nebel zu wandern – alles war irgendwie unwirklich. Doch ihr Verstand funktionierte immerhin wieder. Sie sah Alexandra direkt an. »Ich denke, es ist besser, wenn ich auf mein Zimmer gehe.«
Nur ein einziges Wort des Widerspruchs von
Weitere Kostenlose Bücher