Mit Konfuzius zur Weltmacht
Tuschzeichnung des Philosophen. Die Schüler pinseln faustgroße Zeichen in Schönschrift. Kalligrafie ist eine uralte chinesische Tradition, und das hat gute Gründe: In China werden verschiedene Dialekte gesprochen, die sich so stark voneinander unterscheiden wie Deutsch von Französisch. Allen Chinesen gemeinsam aber sind die Schriftzeichen. Deshalb werden sie auch als »zweite Chinesische Mauer« bezeichnet.
»Es gab in den kaiserlichen Examina als eines der Prüfungsfächer Kalligrafie«, sagt Sinologe Tilman Spengler. »Das war eine wunderschöne Praxis. Kalligrafie ist praktizierte Ästhetik. Wenn von dem, was wir für China halten, sehr viel verschwunden ist, wird die Schrift übrig bleiben.« Bei der Kalligrafie geht es darum, Geist und Körper in Einklang zu bringen. Sie fördert Disziplin, Geduld und Ausdauer. Was in der Konfuzius-Schule weltfremd und rückwärtsgewandt aussieht, hat in Wahrheit sehr viel mit der Zukunft zu tun. China, Südkorea, Singapur – Länder, die in der konfuzianischen Tradition stehen, entwickeln sich erfolgreich. »Da besteht ein starker Zusammenhang«, sagt Schuldirektor Feng Zhe. »Der Konfuzianismus hat Verständnis für den Reichtum. Ob es um einzelne Menschen oder ganze Länder geht, er fördert den wirtschaftlichen Erfolg, ist dafür eine gute Anleitung.«
So einfach ist der Zusammenhang jedoch nicht. »Strebe nie unlauter nach Reichtum« , mahnte Konfuzius. Und er meinte auch: »Dem Edlen geht es um innere Werte, der Gemeine hingegen ist auf Materielles aus.« Gelehrte und Beamte gelten in seiner Lehre mehr als Geschäftsleute. Darauf verweist etwa Nicholas D. Kristof, langjähriger Peking- und Hongkong-Korrespondent der New York Times , meint aber: »Und doch denke ich, dass es gewisse Aspekte des Konfuzianismus gibt, die günstige Voraussetzungen für die Marktwirtschaft und eine schnelle Industrialisierung darstellen. So könnte zum Beispiel der konfuzianische Sinn für Zurückhaltung als mögliche Erklärung für die hohen Sparquoten der jüngsten Vergangenheit in China und seinen Nachbarländern dienen. In China liegen sie zum Beispiel pro Kopf zwischen 35 und 40 Prozent, im Vergleich zu 5 Prozent in den Vereinigten Staaten. Diese Ersparnisse liefern das Kapital, das in neue Fabriken, Straßen und Läden investiert werden kann und so das Wirtschaftswachstum in Gang hält. Chinas Sparquote – weltweit eine der höchsten – hilft, die Mittel bereitzustellen, um die industrielle Revolution zu finanzieren.« Sparsamkeit und Zurückhaltung forderte Konfuzius etwa, als er sagte: »Maß und Mitte bewahren – das ist die höchste Tugend.«
Der Ökonom Arthur Murray Whitehill verweist auf die Loyalität gegenüber Vorgesetzten in konfuzianischen Gesellschaften, außerdem auf die Hingabe an Familie und Gruppe. Letztere begünstige Fleiß und hohe Arbeitsmoral, die das Wirtschaftswachstum fördern. Im Spiegel steht zu lesen: »Die Tradition des Konfuzius trägt zum wirtschaftlichen Erfolg der Chinesen bei, die sich fest auf den Zusammenhalt ihrer Clans stützen können. Die Kredite von Auslandschinesen an ihre Angehörigen im Land brachten die Wirtschaft wieder in Schwung, als Deng Xiaoping Ende der 70er-Jahre seine Reform- und Öffnungspolitik begann. Noch immer sind viele Privatunternehmer auf die Hilfe ihrer Familie und Freunde angewiesen, da ihnen die staatlichen Banken nur zögerlich Kredite gewähren. Und jene Abermillionen Arbeiterinnen und Arbeiter, die in den Fabriken im Perlfluss-Delta ihre Gesundheit ruinieren, tun dies nicht zuletzt, um ihren Eltern ein würdiges Alter zu ermög-lichen – und den jüngeren Geschwistern die nötige Schulbildung.«
Man sorge nicht nur für die Zukunft der Familie, sondern auch für den eigenen Nachruhm. Konfuzius sagte: »Der Edle hasst den Gedanken, die Welt zu verlassen, ohne etwas geleistet zu haben, was bleibender Anerkennung wert ist.« Außerdem führt Konfuzius’ Philosophie der Ordnung zu einer effektiven Organisation in Regierung und Verwaltung, genauso in Betrieben. Musterbeispiel dafür ist Singapur, das ohne Umweg über den Kommunismus Jahrzehnte vor China mit dem konfuzianisch gesteuerten Wirtschaftswunder beginnen konnte. Die Kaufkraft seiner Einwohner liegt heute weltweit an vierter Stelle, deutlich vor Deutschland oder den USA. Vor 50 Jahren noch war Singapur ein malariaverseuchtes Hafennest, das unter den Folgen der japanischen Besatzung und der britischen Kolonialherrschaft litt. Im Vergleich dazu liegt
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