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Sich selbst regulieren – Ungebremste Disziplin lockern
Episode: Das perfekte Vorbild
Anne weiß nicht, ob sie weinen oder schreien möchte. Während ihre Mitarbeiter längst ins Wochenende verschwunden sind, überarbeitet sie noch die Anschreiben an die Dozenten, die am Montag in die Post sollen. Kopfschüttelnd stellt sie fest, wie nachlässig im Stil und lieblos in der Ansprache die zuständige Mitarbeiterin den Brief abgefasst hat. Verärgert mailt sie ihr die verbesserte Fassung mit den Worten: »Wenigstens stimmen alle Daten. Doch ich erwarte ein bisschen mehr emotionale Kompetenz, gerade im Umgang mit externen Dozenten.« Seufzend malt sie sich die unwillige Reaktion der Kollegin aus, wenn diese am Montag ihr Postfach öffnet. Das wird wohl wieder ein anstrengender Wochenbeginn.
Als Anne ein halbes Jahr zuvor zur Leiterin der Schulungsabteilung ernannt wird, geht sie mit reiflicher Überlegung und gründlicher Vorbereitung an die neue Aufgabe heran. Sie ist überzeugt, dass sie sich von Anfang an Respekt verschaffen muss. Auf jeden Fall will sie selbst Modell sein für das, was sie von ihren Mitarbeitern verlangt. Dass sie bis spätabends auch zu Hause noch Situationen des Tages reflektiert oder Vorgehensweisen durchspielt, wird bald zum Regelfall.
In der ersten Zeit scheinen sich die meisten ihrem betont professionellen Umgangston und ihrer kontrollierten disziplinierten Arbeitsweise anzupassen. Zumindest spürt Anne keinen Widerstand. Sie fühlt sich in ihrem Konzept bestätigt und geht davon aus, dass ihre Vorstellungen im Lauf der Zeit noch selbstverständlicher umgesetzt werden. Doch dann scheint es immer anstrengender zu werden. Anne fühlt sich häufiger missverstanden, manchmal sogar boykottiert und ausgegrenzt.
Kommentar
Anne ist fest entschlossen, die strukturellen, taktischen und kommunikativen Fehler, die sie bei anderen Führungskräften beobachtet hat, zu vermeiden. Diesen Anspruch versucht sie mit unterschiedlichen Strategien zu erfüllen:
Sie erlaubt sich keine Schwächen, Ungenauigkeiten oder unprofessionellen Reaktionen.
Sie will immer mit gutem Beispiel vorangehen.
Um jeden Preis will sie vermeiden, dass sie angreifbar wird oder gar ein Versäumnis oder einen falschen Ton eingestehen muss.
Anne erwartet, dass in der neuen Rolle als Führungskraft ihr Tun von vielen Seiten eher argwöhnisch als wohlwollend beobachtet wird.
Gerade weil sie sich unglaublich anstrengt, alles richtig zu machen, fühlt sie sich persönlich schlecht behandelt, wenn die Mitarbeiter nicht vorbehaltlos mitziehen.
Mit ihrem gnadenlosen Anspruch und dem Versuch, perfekt zu sein, schafft sie zum einen eine Distanz zu den anderen, unter der sie selbst leidet. Zum anderen führt die eiserne Disziplin, die Anne sich abverlangt, dazu, dass sie permanent über ihre Grenzen geht und sich an Kleinigkeiten festbeißt. Enttäuscht und deprimiert, dass nicht alles perfekt läuft, verliert sie aus den Augen, was in der Gesamtheit wichtig ist und was sie im großen Ganzen alles erreicht.
Sich disziplinieren zu können, wenn es darauf ankommt, ist eine wichtige Lebenskompetenz. Zur inneren Balance braucht Anne aber auch Entspannung, Humor sowie die Bereitschaft und die Fähigkeit, Dinge nicht grundsätzlich so gut wie möglich, sondern so gut wie nötig zu tun.
Reflexionsfragen
In welchen Situationen,
bei welchen Aufgaben,
gegenüber welchen Personen
laufen Sie Gefahr, in ungebremsten Perfektionismus zu verfallen und die Messlatte unerbittlich hoch zu legen?
Was löst die Vorstellung in Ihnen aus, eine Sache auf die leichte Schulter zu nehmen, eine Aufgabe nicht hundertprozentig zu erledigen oder sich sogar mal durchzumogeln?
Was löst es in Ihnen aus, wenn andere das tun?
Verlangen Sie auch bei Nebensächlichkeiten von sich, dass Sie Ihr Bestes geben? Können Sie sich manchmal nicht bremsen und bleiben weiter auf Spur, obwohl Sie am Ende Ihrer Kräfte sind?
Kennen Sie den Drang, nachzubessern, wenn Dinge in Ihren Augen hätten besser erledigt werden können? Signalisieren andere Ihnen, dass sie sich Ihnen gegenüber unzulänglich fühlen?
Übungsvorschläge
Streben nach Perfektion und vorbildliches Verhalten sind wunderbar, wenn Sie nicht dem Zwang erliegen, diesen beiden Aspekten in jeder Situation entsprechen zu müssen.
Prüfen Sie, ob Ihre hohen Ansprüche wirklich der Sache angemessen sind. Orientieren Sie sich an den Auswirkungen, die Ihr Tun
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