Mit Schimpf und Schande
sie die Lippen zusammenpreßte, nickte er.
»Genau. Wie nicht anders zu erwarten, sind unsere Fachleute sich uneins über die Bedeutung der Meldungen. Der Coup – oder was immer es auch war – kam für uns völlig überraschend und hat uns aus dem Gleichgewicht gebracht. Die verschiedenen Denkfabriken erstellen im Augenblick ohne Ausnahme neue Modelle. Aber bis sie damit fertig sind, weiß niemand, was nun wirklich vor sich geht oder wohin das alles führt. Einige von uns, darunter der Herzog von Cromarty und meine Wenigkeit, glauben, daß sich vor unseren Augen etwas entwickelt, das viel gefährlicher ist als das alte Regime je sein konnte. Pierre hat ein ausgezeichnetes strategisches Gespür unter Beweis gestellt, indem er sich auf die Hauptbasen und am dichtesten bevölkerten Sonnensysteme konzentriert. Wenn dieses Komitee, diese Junta, oder wie immer man es auch nennen soll, sich dort zu behaupten vermag, dann kann es schwächere, abtrünnige Systeme auch später zurückerobern, ganz besonders, wenn es die Öffentlichkeit im Rücken hat. Und es sieht ganz so aus, als würde das Komitee sich durchsetzen.«
Wieder unterbrach er sich, und Honor nickte langsam, während sie sanft Nimitz’ Ohren massierte.
»Und wenn sie die Admiräle erschießen, können sie ihre eigenen Leute in Kommandopositionen bringen«, murmelte sie.
»Genau. Das bedeutet, daß ihre Flottenkommandeure verläßlich sind – Offiziere, die ihre Position allein der Protektion durch das Komitee zu verdanken haben. Die brauchen sie, wenn sie sich wieder uns zuwenden.« White Haven zuckte mit den Schultern. »Hinsichtlich der Kommandoerfahrung kostet die Säuberung sie einiges, aber nur auf kurze Sicht. Nur zu Ihrer Information, Dame Honor – und hierbei handelt es sich um Geheimmaterial: Etliche der besseren havenitischen Flaggoffiziere sind aus der Republik geflohen, und davon einige sogar zu uns übergelaufen. Nach ihrer Aussage hatte die Volksflotte überhaupt nichts mit dem Harris-Anschlag zu tun. Ich für mein Teil neige dazu, ihnen zu glauben, und dadurch erheben sich einige recht interessante Fragen bezüglich Mr. Pierre und seinen Freunden. Besonders im Lichte ihrer unfaßbar raschen Reaktion, mit der sie den ›Militärputsch‹ vereitelten.
Unser Problem besteht nun darin, daß unsere Parteien solange das annehmen können, das mit ihren Vorurteilen am besten korrespondiert, bis die Vorgänge in der Volksrepublik so offensichtlich sind, daß sich daran nichts mehr rütteln läßt. Wenn ich ganz ehrlich bin, trifft dies auch auf den Herzog und mich zu, nur daß Cromarty sich einfach nicht den Luxus leisten kann, die havenitische Lage über einem Glas Brandy im Club zu diskutieren. Er muß in der Wirklichkeit agieren, und da, fürchte ich, kommen Sie ins Spiel.«
»Ich, Sir?« fragte Honor stirnrunzelnd vor Konzentration, nicht vor Ärger. White Havens Offenheit hatte ihren Zorn besänftigt, und seiner Analyse zuzuhören war, als lauschte sie einem Flottenkommandeur, der ihr den Kampfauftrag ihrer Einheiten, die Missionsziele, darlegte.
»Sie. Raoul Courvosier hat mir einmal gesagt, Sie hätten eine Abneigung gegen die Politik, Dame Honor. Ich wünschte, er könnte heute hier sein, um Ihnen die Sache selbst zu erläutern, aber das ist nicht so, und diesmal stecken Sie bis zum Hals drin in der Politik.«
Als Honor an Admiral Courvosiers Tod erinnert wurde, verspürte sie einen vertrauten Schmerz, doch unter dem Schmerz lag noch etwas anderes. Sie hätte niemals vermutet, daß Courvosier mit anderen über sie sprach, ganz besonders nicht in dem Ausmaß, das diese Bemerkung nahelegte. Ihre Überraschung zeigte sich wohl, denn White Haven lächelte traurig.
»Raoul und ich waren enge Freunde, Dame Honor. Er betrachtete sie stets als eine seiner herausragendsten Schülerinnen. Ja, einmal hat er mir sogar anvertraut, er sehe in Ihnen die Tochter, die er niemals hatte. Er war ganz enorm stolz auf Sie, und ich glaube nicht, daß es ihn enttäuschen – oder überraschen – würde, wie überreich Sie sich seines Vertrauens als würdig erwiesen haben.«
Honor zerdrückte Tränen, die ihr plötzlich in die Augen schossen. Courvosier hatte ihr das niemals gesagt – er hätte es ihr niemals gesagt. Aber seit sie ihn im Jelzin-System verlor, bohrte in ihr das tiefe, niemals verebbende Bedauern, daß sie ihm niemals gesagt hatte, wieviel er ihr bedeutete. Aber wenn er sich wirklich mit jenen Worten über sie geäußert hatte, dann hatte er
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