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Mit Schimpf und Schande

Mit Schimpf und Schande

Titel: Mit Schimpf und Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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sie vermutete, daß seine Beförderung nur wenig mit dem Einfluß seiner Familie oder dem verzweifelten Bedürfnis der Graysons nach hohen Offizieren zu tun hatte.
    Brentworth hielt ihre Hand länger, als nötig war, um dem Protokoll Genüge zu tun, und als sie seinen musternden Blick bemerkte, wandte sie mit Bedacht den Kopf, um ihm ihre linke Gesichtshälfte zu präsentieren. Als er sie zum letzten Mal gesehen hatte, war ihr zerstörtes linkes Auge von einer Augenklappe bedeckt und die linke Gesichtshälfte durch Nerventod wie eingefroren gewesen. Sie erkannte die Erleichterung in seinen Augen, als sie sein Lächeln erwiderte und ihr linker Mundwinkel sich dabei natürlich bewegte. Natürlich, so weit es für ihn ersichtlich war, ermahnte sie sich. Vor ihrer Verletzung hatte er sie nur ein oder zweimal lächeln sehen.
    Brentworth ließ ihre Hand wieder los und trat mit einer Geste zurück, die höflich, aber unmißverständlich klar machte, daß sie einen höheren Rang einnahm als all die hoch- und mittelgestellten Diplomaten, die vor ihr an Bord gekommen waren.
    »Ich freue mich schon sehr darauf, Ihnen das Schiff zu zeigen, Mylady. Erlauben Sie mir jedoch zuvor, daß ich Sie zu Ihrer Unterkunft begleite. Ihr Steward müßte ihr persönliches Gepäck bereits dorthingeschafft haben.«
     

13
    Der Mann, der einmal Pavel Young gewesen war, verharrte, als er sich unerwartet dem Spiegel gegenübersah. Quer durch sein neues Büro starrte er ihn an, wie auf den Fleck gebannt, während hinter ihm sich mit einem Seufzen die Tür schloß. Aus dem Spiegel starrte sein hohläugiges Gesicht auf ihn zurück, weiß vor Anspannung über einem Jackett, das von einem vorzüglichen Schneider stammen mußte. Einem zivilen Jackett.
    Etwas in ihm zerbrach. Seine Schultern zuckten, als hätte er einen Stromstoß erhalten, seine Nasenflügel bebten; und eilends durchquerte er den Raum. Sein Mund war durch eine Beschämung verzerrt, die noch zu frisch war, um schon an Gewalt verloren zu haben, und wie Klauen hakte er die Finger unter den Spiegelrahmen.
    Der Spiegel war nicht einfach aufgehängt, sondern mit Klammern an der Wand befestigt, und als einer seiner Fingernägel einriß, schoß der Schmerz Young den Arm hinauf. Den Schmerz hieß er willkommen. Der Schmerz war sein Verbündeter, denn er stachelte ihn zu einem wuterfüllten Kraftakt an, und Young grunzte vor Anstrengung, als er seine Fingerspitzen wie Keile aus Fleisch in den schmalen Spalt zwischen Rahmen und Wand preßte. Mit einem Krachen, das wie der Abschuß einer Pistole klang, gab die teure Holzvertäfelung nach, und Young riß den Spiegel mitsamt Halteklammern aus der Wand. Unter dem Gewicht taumelte er einige Schritte zurück, dann stieß er den Spiegel von sich. Glitzernd segelte der Spiegel durch das palastartige Büro, drehte sich Ecke über Ecke um sich selbst und machte dabei ein surrendes Geräusch, nur um mit lautem Klirren an der gegenüberliegenden Wand zu zerbersten. Verspiegelte Glassplitter regneten auf den Teppich hinab und kungelten und rollten wie zersplitterter Diamant über das nackte Holz längs der Wände, das der Teppich nicht mehr bedeckte. In Youngs Augen flackerte der Wahnsinn.
    Ein gedämpfter, alarmierter Aufschrei erklang aus dem Vorzimmer, gleich nachdem die Zerstörung des Spiegels das Büro erbeben ließ. Die Tür wurde aufgerissen, und ein distinguiert aussehender Mann mit eisengrauem Haar sah hinein. Seine Miene verriet nichts, nur die Augen riß er unwillkürlich auf, als er den Elften Earl von North Hollow keuchend mitten im Raum stehen sah. Der Earl war noch immer in Wurfstellung vorgebeugt und atmete erschauernd heftig ein und aus, während sein Blick auf den zerschmetterten Spiegel fixiert blieb.
    »Mylord?« Im leisen, höflichen Ton des Grauhaarigen lag ein winziger Beiklang von Vorsicht, doch North Hollow ignorierte den Mann völlig. Dieser räusperte sich und versuchte es erneut, ein wenig lauter nun: »Mylord?«
    Der Earl bemühte sich um Fassung. Er kniff die Augen zu und rammte die Finger durch sein Haar, dann holte er noch einmal tief Luft und sah auf den Eingetretenen.
    »Ja, Osmond?«
    »Ich habe den Spiegel fallen hören.« North Hollow quittierte Osmonds Wortwahl mit einem Zucken der Mundwinkel, und Osmond wartete noch einen Augenblick. »Soll ich veranlassen, daß aufgeräumt wird, Mylord?« schlug er taktvoll vor.
    »Nein.« North Hollows Stimme war heiser. Er atmete wieder tief durch, dann wandte er sich um und

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