Mit verdeckten Karten
angehender Glatze durchaus sehr gut gefallen konnten. Bisher war sie immer der Meinung gewesen, daß man sich für Haarausfall schämen mußte, und die Männer, die ihr gefielen, hatten bisher immer dichtes, gepflegtes Haar gehabt. Jetzt, während sie den fünfzigjährigen General von der Seite betrachtete, stellte sie erneut fest, daß er ihr schrecklich gefiel. Ungeachtet seines schütteren Haars. Ungeachtet dessen, daß er etwas kleiner war als sie. Ungeachtet dessen, daß sie in etwas mehr als einem Monat heiraten wollte. Ungeachtet aller Tatsachen und Umstände. General Satotschny gefiel ihr, basta. Er gefiel ihr als Ermittlungsbeamter, als General, als Vorgesetzter, als Mann.
»Sie sagten, vielleicht. Vielleicht wurden Tarassow und Agajew im Zusammenhang mit Uralsk umgebracht. Und wenn es vielleicht doch anders ist?« sagte der General, das Schweigen endlich durchbrechend.
»Natürlich kann es auch anders sein. Ich kann Ihnen aus dem Stegreif mindestens zehn Gründe nennen, warum innerhalb von drei Tagen zwei Menschen ermordet wurden, Agajew und Tarassow. Uralsk ist nur einer der möglichen Gründe.«
»Dafür der offensichtlichste.«
»Und genau das ist es, was mich mißtrauisch macht. Das Offensichtliche macht mich immer mißtrauisch. Es ist, als ob man etwas mit Gewalt in den Mund gestopft bekommt.«
»Und das mögen Sie nicht?« fragte der General ironisch.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht ausstehen.«
»Sie sind wahrscheinlich eine sehr unabhängige Frau.«
»Ja, das bin ich.«
»Und Sie lassen sich nicht leicht beeinflussen.«
»So ist es. Einmal haben sich gleich zwei Hypnotiseure auf einmal die größte Mühe gegeben, mich in Trance zu versetzen, aber es ist ihnen nicht gelungen.«
»Mögen Sie Haferflocken?«
Nastja stolperte vor Überraschung und ergriff den Ärmel der blauen Jacke, die Iwan Alexejewitsch trug, um nicht zu fallen.
»Haferflocken?« fragte sie ungläubig. »Habe ich richtig gehört?«
»Ja, Sie haben richtig gehört. Ich habe Sie gefragt, ob Sie Haferflocken mögen.«
»Nein, ich hasse Haferflocken.«
»Schade«, sagte der General mit einem gespielten Seufzer. »Und ich mag sie. Da sind unsere Geschmäcker also verschieden . . . Gut, Anastasija Pawlowna, ich werde jetzt kraft meiner Macht als großer Chef die Aufgaben verteilen. Sind Sie einverstanden?«
»Natürlich.«
»Ich werde versuchen, alles herauszufinden, was mit Uralsk zusammenhängt. Und Sie werden sich mit den restlichen neun Gründen befassen, die dazu geführt haben könnten, daß innerhalb kurzer Zeit zwei Menschen ermordet wurden, die mit Uralsk und mit Platonow zu tun hatten. Ich hoffe, Sie finden diese Arbeitsteilung gerecht. Ich als Vorgesetzter übernehme eine Version, und Sie als begabte Untergebene die restlichen neun.«
»Wie Sie meinen, Iwan Alexejewitsch«, sagte Nastja, »danke, daß Sie Uralsk übernehmen.«
»Warum?«
»Ich kann diese ganzen Wirtschaftssachen nicht ausstehen. Mir wird schlecht davon«, gestand sie.
»Ich verstehe nicht.« Der General blieb stehen und sah Nastja durchdringend an. Seine Brauen hoben sich ein wenig über den gelben Augen, er wirkte irgendwie kalt und distanziert. »Was heißt, daß Ihnen schlecht wird von diesen ganzen Wirtschaftssachen?«
»Es heißt, was es heißt«, erwiderte sie in einer Aufwallung von Zorn. »Das einzige Fach, in dem ich auf der Universität eine Zwei hatte, war die Politökonomie. Ich habe nie Zugang zu diesem Bereich gefunden. Das ist offenbar genetisch bedingt, angeboren, dagegen kann man nichts tun. Mir wird schlecht, wenn ich Wörter wie Bank, Kredit, Inflation, Börse, Aktie höre. Das alles langweilt mich entsetzlich. Verstehen Sie?«
»Nein, ich verstehe gar nichts mehr«, sagte der General mit einer Geste des Erstaunens. »Man hat mir von Ihnen gesagt, Sie seien so tüchtig, so begabt, Sie hätten sich mit Mathematik befaßt und würden über ein hervorragendes Gedächtnis verfügen. Sollten Sie tatsächlich nicht in der Lage sein, sich etwas so Simples anzueignen wie die Grundlagen der Wirtschaftstheorie? Sie beherrschen doch vier Fremdsprachen . . .«
»Fünf«, verbesserte Nastja mechanisch.
»Ja? Dann erst recht. Statt dessen sitzen Sie in der Ecke und weinen, weil Sie etwas nicht können, anstatt sich die Tränen zu trocken, ein paar Bücher in die Hand zu nehmen und zu lernen, was nötig ist. Schämen Sie sich!«
»Sie haben mich nicht verstanden, Iwan Alexejewitsch. Sie haben natürlich
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