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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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streckte die Hand aus, öffnete die rechte Tür und erblickte auf den Einlageböden verschiedene, ordentlich abgestellte Cremedosen. Von hier hatte das Rascheln nicht stammen können. Hinter der mittleren Tür befanden sich keine Fächer, dort standen nur große Behälter, Shampoo, flüssige Seife, Haarspray und Duschgel. Er öffnete die linke Tür und überzeugte sich an dem Geräusch des Magnetschlosses noch einmal davon, daß es tatsächlich der Spiegelschrank war, den Kira geöffnet hatte, bevor das Rascheln aus dem Badezimmer zu ihm gedrungen war. Er sah verschiedene Behälter mit Tampons, Binden und Slipeinlagen vor sich. Der Anblick war ihm peinlich, wie es immer peinlich ist, wenn man mit der Intimsphäre eines anderen Menschen in Berührung bekommt. Er wollte nachsehen, ob das Rascheln von einem dieser Behälter stammen konnte, aber er fühlte, daß er nicht in der Lage war, diese Dinge zu berühren. Aus irgendeinem Grund erzeugte alles, was mit Gynäkologie zu tun hatte, in einem Durchschnittsmann, sofern er nicht Arzt war, eine seltsame Mischung aus Entsetzen und Widerwillen. Platonow grinste in sich hinein, während er die Schranktür wieder schloß, und schnitt sich selbst eine blödsinnige Grimasse im Spiegel. Sieh ihn dir an, den Hercule Poirot der Akustik, dachte er erheitert.
    5
    Der siebzehnjährige Wolodja Trofimow wuchtete sein Fahrrad aus dem Zug, trug es über die Holztreppe des Bahnsteigs hinaus ins Freie und begann, beschwingt in die Pedale zu treten. Er fuhr oft und gern zu seinem Großvater auf die Datscha, denn auf dem großen Grundstück befanden sich ein Tennisplatz und ein Swimmingpool, und er hatte dort alle Freiheiten. Sein Großvater war ein großer Boß, Wolodja wußte darüber bestens Bescheid, nicht umsonst waren sowohl in der Stadtwohnung als auch auf der Datscha immer zwei bis drei Leibwächter anwesend, beide Autos des Großvaters hatten hohe PS-Zahlen und Panzerglasscheiben. Irgendwann, als Wolodja noch in der achten Klasse war, hatte ein Gehilfe seines Großvaters mitbekommen, daß jemand von Wolodjas Mitschülern ihn Trofim nannte, was völlig normal war, weil Spitznamen sehr oft aus Familiennamen gebildet wurden. Er nahm Wolodja zur Seite und sagte:
    »Sag deinen Freunden, daß sie sich für dich einen anderen Spitznamen ausdenken sollen.«
    »Warum?« fragte Wolodja erstaunt.
    »Weil Trofim ein richtiger Name ist. Den muß man sich erst verdienen. Es ist der Name deines Großvaters. Hast du verstanden?«
    Wolodja tat damals so, als hätte er verstanden, aber seither beobachtete er seinen Großvater und dessen Umgebung genauer. An seinen Vater hatte der Junge nur noch vage Erinnerungen, man hatte ihn ermordet, als Wolodja sechs Jahre alt war. Als seine Mutter ein paar Jahre später erneut heiraten wollte, sagte der Großvater zu seiner Schwiegertochter:
    »Wenn du meine Familie verlassen willst – bitte sehr, niemand hält dich, aber mein Enkel bleibt bei mir. Allein kannst du ihn nicht großziehen, und ich werde nicht zulassen, daß der Sohn meines Nikolaj von einem Stiefvater aufgezogen wird. Du mußt dich entscheiden.«
    Die Mutter rang eine Zeitlang mit sich, aber schließlich heiratete sie doch, und seitdem befand sich der Junge unter der ungeteilten Obhut des Großvaters, des großen und mächtigen Ilja Nikolajewitsch Trofimow, den alle einfach Trofim nannten.
    Vom Bahnhof bis zur Datscha des Großvaters waren es fast zehn Kilometer, und Wolodja freute sich auf die bevorstehende Fahrt mit dem Rad, die zuerst über eine breite Straße führte, dann über einen schmalen, von Bäumen gesäumten Pfad. Der Schnee war längst weggetaut, aber obwohl die Erde noch naß war, kam man mit dem Fahrrad gut voran. Auf der Datscha würde er als erstes in den Swimmingpool springen, dann an die Fitneßgeräte gehen, anschließend würde es ein reichhaltiges, schmackhaftes Mittagessen geben, und gegen Abend würde er Natascha abholen. Sie würden so lange miteinander Spazierengehen, bis ihre Eltern eingeschlafen waren, und dann . . . Im süßen Vorgefühl des Bevorstehenden trat er noch herzhafter in die Pedale.
    Wolodja betrieb Kampfsport, und mit seinen siebzehn Jahren war er ein so mächtiger, muskulöser Bursche, daß man ihn von hinten für einen fünfundzwanzigjährigen Mann hätte halten können. Das Bewußtsein von der Autorität und Macht seines Großvaters hatte längst die kindliche Naivität und Unsicherheit aus seinen Zügen verschwinden lassen, und er hatte noch niemals

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