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Mit verdeckten Karten

Mit verdeckten Karten

Titel: Mit verdeckten Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Taschen ihrer weiten Jacke Platz hatten.
    »Ich habe Glück, daß direkt neben dem Bahnhof ein großer Supermarkt ist, der auch am Wochenende von acht Uhr morgens bis neun Uhr abends geöffnet hat. So muß ich die Einkäufe nicht durch ganz Moskau schleppen, sondern kann sie direkt vor dem Einsteigen in den Zug machen.«
    Sie trank schnell eine Tasse Kaffee und ging ins Bad, um sich anzuziehen. Die Knöpfe ihres Morgenmantels stießen gegen die Metallwand der Waschmaschine, dann hörte man, daß ein Reißverschluß zugezogen wurde. Kira zog ihre Jeans an. Ein paarmal ertönte das zischende Geräusch eines Deosprays, und Platonow versuchte, sich die schlanke Figur der Frau vorzustellen, die, nur mit Jeans bekleidet, vor dem Spiegel stand und ihren Büstenhalter anzog. Vor seinem geistigen Auge sah er ihre nach hinten gebogenen Arme vor sich, ihre Hände, die sich mit dem Verschluß des Büstenhalters abmühten, die schöne, straffe Brust im Spiegel, die muskulösen Schenkel in den engsitzenden Stretch-Jeans. Die Frau war unbezweifelbar schön. Aber noch unbezweifelbarer war es, daß sie in Dmitrij keinerlei gewisse Gefühle weckte. Kein Wunder, sagte sich Dmitrij, wenn man so in der Klemme steckt wie ich. Zum Glück kann ich wenigstens noch halbwegs klar denken. Aber für den Sex bleiben dem Körper keine Energien mehr.
    Er fuhr fort, mechanisch den Geräuschen aus dem Badezimmer zu lauschen. Das Schnalzen eines Magnetschlosses -Kira holte etwas aus dem Spiegelschrank an der Wand. Ein trockenes Rascheln, dessen Herkunft Platonow nicht deuten konnte. Das Klicken der Metallspange, mit der Kira ihr dichtes, schweres Haar am Hinterkopf auf steckte.
    Endlich trat sie aus dem Bad auf den Flur und begann, sich anzuziehen. Während Platonow ihr nachdenkliches, etwas trauriges Gesicht betrachtete, überflutete ihn plötzlich eine Welle der Zärtlichkeit für diese stille Frau, die grundlos eine große Gefahr auf sich nahm, um einem flüchtigen Ermittlungsbeamten Unterschlupf zu gewähren. In einer Gefühlsaufwallung ging er auf sie zu, umarmte sie und drückte seine Wange an ihr Haar.
    »Komm bald wieder nach Hause, ja?« sagte er flüsternd. »Ich werde dich vermissen.«
    »Ich werde mich bemühen«, erwiderte sie, ebenfalls flüsternd.
    Dmitrij spürte, wie sich ihr Rücken anspannte, so, als würde sie ihre ganzen Kräfte zusammennehmen, um nicht vor ihm zurückzuweichen.
    »Und sei vorsichtig, Kira.«
    »Ich werde mich bemühen«, wiederholte sie.
    »Kira, ich bin ein Dummkopf, ich mache alles falsch«, sagte Platonow unerwartet für sich selbst. »Wenn du heute abend zurückkommst, wird alles anders sein. Das verspreche ich dir. Alles wird anders sein. «
    Er wußte selbst nicht, wovon er jetzt sprach, was er falsch machte und was am Abend anders sein würde, er hatte einfach instinktiv das Gefühl gehabt, das sagen zu müssen. Er hatte den ganzen Tag Zeit, um darüber nachzudenken, wie er sein Versprechen erfüllen wollte.
    »Ich muß los, sonst verpasse ich meinen Zug«, sagte Kira und wich einen Schritt zurück.
    Platonow zog sie entschlossen an sich und küßte sie langsam und zärtlich auf den Mund.
    »Geh jetzt«, sagte er leise. »Aber denk daran, ich warte auf dich. Und paß auf dich auf, bitte!«
    Allein zurückgeblieben, drückte Platonow sich sinnlos in der Wohnung herum, sah eine Weile fern, dann entschloß er sich, die Tapeten in der Küche abzulösen. Er nahm das Geschirr und andere Küchenutensilien aus den Hänge- und Bodenschränken, rückte den Kühlschrank zur Seite und brachte alles, was er bewegen konnte, ins andere Zimmer. Die Wände erwiesen sich als erstaunlich intakt, Spachtelarbeiten waren nicht nötig, und er war sicher, daß er bis zu Kiras Rückkehr mit dem Tapezieren fertig sein würde.
    Während Platonow die Tapetenbahnen systematisch mit Kleister bestrich, an die Wand anlegte und mit Hilfe eines Lappens glattstrich, fragte er sich, wieviel Zeit er noch in dieser Wohnung würde verbringen müssen, bis sich die Lage entspannte. Er wußte aus langer Erfahrung, daß es die beste und ungefährlichste Methode war, Informationen portionsweise weiterzugeben, aber es war auch die langwierigste Methode, deshalb mußte er sich in Geduld üben und warten. Er hätte anrufen und alles von Anfang an einer einzigen Person erzählen können, dann hätte er sich das lange und qualvolle Warten darauf ersparen können, daß die verschiedenen Empfänger der Informationen auf die Idee kamen, sich zu treffen und

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