Mitch - Herz im Dunkeln
können, weil der Mann ihm weiter den Mund zuhielt. Aber er wusste, dass die Botschaft trotzdem angekommen war.
„Er sagte, ich solle an meine Mutter denken und wie sie sich fühlen würde, wenn sie ihren Mann und ihren Sohn am gleichen Tag verlöre.“
Sei nicht so verdammt selbstsüchtig, Junge, und beruhige dich endlich!
„Er sagte, ich könne meinem Vater ohnehin nicht mehr helfen.“
„Oh Mitch, es ist schrecklich, dass du das alles durchmachen musstest“, flüsterte Becca mitfühlend.
„Sie sperrten uns in diesem Raum ein“, fuhr Mitch fort. „Ich setzte mich auf den Boden und versuchte nicht zu weinen und nicht zu meinem Vater zu sehen. Sie haben seine Leiche einfach liegen lassen. Eine der Frauen breitete ihren Schal über seinem Gesicht aus, aber …“
Aber die Blutlache blieb weiterhin zu sehen.
„Der Amerikaner machte die Runde im Raum und versuchte, die anderen davon zu überzeugen, dass wir uns wehren müssten. Wir sollten zurückschlagen, sobald die Terroristen wiederkämen. Er meinte, er kenne diese Gruppe von Fanatikern. Er kenne ihren Anführer, daher wisse er, dass sie uns niemals freilassen würden.“
Der Amerikaner prophezeite ihnen, dass das Töten beginnen würde, sobald die Terroristen wiederkämen.
„Er sagte, er würde kämpfen. Aber niemand schien mitmachen zu wollen. Alle hatten Angst. Ich auch.“
Doch Mitch sah zu seinem Vater, diesem Mann, der stets so stark und fürsorglich gewesen war. Man hatte ihn kaltblütig ermordet. Mitch hatte zu dem Amerikaner aufgesehen.
Ich werde kämpfen , hatte er gesagt. Ich werde Ihnen helfen.
„Du sollst nicht töten“, sagte Mitch zu Becca. „Wenn mein Vater von etwas ganz besonders überzeugt war, dann von Gewaltlosigkeit. Waffen und Krieg hatten keinen Platz in seiner Welt. Aber ich befand mich nicht mehr in seiner Welt. Ich wollte die Männer töten, die ihn mir genommen hatten.“
Der Amerikaner setzte sich neben Mitch. Na schön. Bringen wir diese Dreckskerle um. Konzentrier dich auf deinen Zorn, mein Junge. Mach ihn dir zunutze.
„Der Amerikaner fragte mich, ob ich schon mal mit einer automatischen Waffe geschossen hätte.“ Mitch lachte. „Bei uns zu Hause? Ich hatte bis dahin noch nicht mal eine aus der Nähe gesehen, geschweige denn in der Hand gehalten.“
Der Schuss löst einen Rückstoß aus, der den Lauf der Waffe bocken lässt , erläuterte der Amerikaner. Darauf musst du achtgeben. Ziel auf die Körpermitte, nicht auf den Kopf. Es ist erstaunlich, wie oft der Feind plötzlich wieder auf den Beinen steht, nach einem Kopfschuss mit einem so kleinen Kaliber wie einer Neun-Millimeter-Pistole. Und das wollen wir ja nicht, klar?
“Ich bekam eine Schnelleinweisung in der Benutzung einer Maschinenpistole. Schließlich machte ich ihn darauf aufmerksam, dass es uns nicht viel nütze, über eine Waffe zu sprechen, die wir gar nicht hätten. Aber er meinte, er habe einen Plan.
Er erzählte mir etwas von einem verwundbaren Punkt – bei einem Gegner gebe es stets vorübergehend einen Schwachpunkt. Wenn die Terroristen zurückkämen, wären sie in dem Augenblick verwundbar, in dem sie den Raum beträten. Dann würden wir losschlagen, und zwar in dem Moment, wo sie dichter zusammenstünden, weil sie alle durch die Tür müssten. In diesem Augenblick sei ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt.”
Mitch hatte dem Amerikaner zugehört, aufgewühlt von Kummer und Wut. „Es kam mir absurd vor. In einem Raum voller dem Tod geweihter Menschen waren ausgerechnet ein Kind und ein älterer Mann die einzigen, die kämpfen wollten. Ein Teenager, der auf dem College Philosophie und Religionswissenschaften studieren wollte. Ich war mir noch nicht sicher, aber ich hatte damals schon das Gefühl, eines Tages in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Ich besaß dieses Gottesvertrauen, daher schien es mir nur eine Frage der Zeit zu sein, bis ich mich berufen fühlen würde.“
Er lachte erneut, aber es klang bitter. „Der Glaube meines Vaters, seine Worte, sie konnten uns nicht retten. Er hatte ja nicht einmal sich selbst retten können. Aber mit einer Maschinenpistole sah die Sache anders aus. Ja, ich fühlte mich plötzlich berufen, nur zu ganz anderem, als ich mir vorgestellt hatte.“
Becca ergriff seine Hand und drückte sie. Vor ihnen tauchten die Lichter einer Raststätte auf, und Mitch wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis er für immer Abschied von ihr nehmen musste.
„Der Amerikaner – ich wünschte, ich
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