Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Dichter, wenn er widerstreitende Tendenzen in sich selbst vorfindet? Er stellt sie auf die Bühne, gibt ihnen einen Namen und lässt sie miteinander reden und streiten! (s. Abb. 14)
Abb. 14:
Drei «Seelen in der Brust» des «Faust»-Autors (abgeleitet aus dem «Vorspiel auf dem Theater»)
Genau dies hat Goethe in seinem «Vorspiel» zum «Faust» getan: Da tritt zum einen der Dichter (in ihm) auf, der etwas Wahres, Wahrhaftiges von bleibendem Wert schaffen möchte:
Was glänzt, ist für den Augenblick geboren:
Das Echte bleibt der Nachwelt unverloren!
Dabei will er sich nicht unter Termindruck setzen lassen:
Oft, wenn es erst durch Jahre durchgedrungen,
erscheint es in vollendeter Gestalt.
Aber es gibt nicht nur diesen (in ihm). Lautstark und dominant äußert sich ein ganz anderer, der nun auch das Publikum in Betracht zieht und «gut ankommen» will, der Direktor:
Ich wünschte sehr, der Menge zu behagen!
Er denkt ans Geschäft:
Denn freilich mag ich gern die Menge sehen,
Wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt,
[…]
Bei hellem Tage, schon vor vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht
Und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren,
Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
Natürlich geraten diese beiden sofort aneinander. Der Dichter weist empört das an ihn gerichtete Ansinnen zurück, sein Werk auf Beifall und «Einschaltquoten» auszurichten:
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,
Bei deren Anblick uns der Geist entflieht.
Als der geschäftstüchtige Direktor ihm allerlei Ratschläge geben will, wie man die Menge am besten gewinnt, lässt er seiner Verachtung freien Lauf:
Ihr fühlet nicht, wie schlecht ein solches Handwerk sei!
Wie wenig das dem echten Künstler zieme!
Der saubern Herren Pfuscherei
Ist, merk ich, schon bei Euch Maxime.
Der Geschäftstüchtige lässt sich nicht kränken. Er, der schon zuvor eine schnelle und termingerechte Produktion angemahnt hatte,
… mein Freund, o tu es heute!
versucht, die (aus seiner Sicht) fruchtlose Debatte zu beenden:
Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten sehn!
Es gibt noch einen Dritten. Dieser will sich weder Verkaufserfolgen noch dem Qualitätsanspruch ewiger Wahrheiten und Formvollendungen unterordnen – dieser will seinen Spaß im Hier und Jetzt, will Freude haben und Freude machen:
Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.
Gesetzt, daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte dann der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben
Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.
Lustige Person nennt Goethe diesen Dritten im Bunde – und wir können unschwer ahnen, dass diese drei inneren Mitarbeiter bei der Entstehung des Werkes in ihrem Miteinander und Gegeneinander eine große Rolle gespielt haben.
Sind nicht drei ganz ähnliche Gestalten in uns allen vorhanden, wenn wir einer Arbeit, einem Beruf nachgehen? Auch in mir, während ich dieses Buch schreibe: Da ist der seriöse Wissenschaftler, der nach Wahrheit strebt und dafür Sorge tragen möchte, dass der Text vor der «Scientific Community» auch im nächsten Jahrtausend noch Bestand haben möge. Dann ist da der Erfolgsautor, dem eine hohe Auflage nicht ungelegen kommt und dem das praktische Gelingen wichtiger ist als die wissenschaftliche Gründlichkeit. Und da ist drittens ein schöpferischer Gestalter, der an dem Ganzen seinen Spaß haben will, dem es eine diebische Freude macht, dem alten Goethe etwas in die Brust zu malen, und der darauf hofft (und es in seinen Vorlesungen genießt), dass die Leser und Hörer daran ihr Vergnügen haben, dass «docere et delectare» (Belehren und Erfreuen) zur Einheit werden. Wo auch immer sie herkommen mögen – sie sind da! Und nun kommt es entscheidend darauf an, dass diese drei zu einem Inneren Team werden, dass sie sich gegenseitig ergänzen, unterstützen und beflügeln, statt einander hindernd ins Wort zu fallen und sich gegenseitig die Laune zu verderben. Hier liegt die Scheidelinie zwischen aufblühender Schaffenskraft und chronischen Arbeitsstörungen.
1.5
Teams im Arbeits- und im Seelenleben: die Parallelitätsthese
So weit zu den Hintergründen und Ideenlieferanten sowie zur Entstehung des Modells vom Inneren Team. Nachdem die Metapher erst einmal geboren war, entwickelte sie eine erkenntnisspendende Kraft und führte mir immer deutlicher vor Augen, welch verblüffende Parallelen sich zwischen der Gruppendynamik in Arbeitsteams und der im
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