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Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Titel: Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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bislang nur ein persönliches Erlebnis anführen: Mit einer befreundeten Kollegin hatte ich einen Dissens, als sie einen Termin für eine gemeinsame Lehrveranstaltung aus wichtigem persönlichem Grund absagen wollte. Ich: «Auf gar keinen Fall!» Sie: «Unbedingt!» – Was tun? Wir verabredeten darüber ein Gespräch beim Bier, und nachdem ich gerade die Arbeit von Bossemeyer und Lohse gelesen hatte, kam mir die Idee, wir könnten miteinander einen «Teamdialog» führen: für jede Stimme einen Bierdeckel! Nach einer inneren Vorbereitung hatten wir jeder vier bis fünf Bierdeckel vor uns liegen, und nacheinander kamen alle dran, erst vom einen, dann vom anderen. Der Gesprächsverlauf war zum Teil überraschend, zum Teil bewegend, weil unweigerlich manches zur Sprache kam, was nicht zuvorderst war, sondern sich aus der Tiefe des (seelischen) Raums meldete. Die Versteifung der Ausgangsposition (Unbedingt! – Keinesfalls!) war sofort aufgelöst, weil jeder auch solche Stimmen in sich hatte, die dem anderen recht gaben. Lösung und Einigung kamen wie von selbst.
    Diese kommunikative Erfindung ist wahrscheinlich freundschaftlichen Kontexten und Beziehungen vorbehalten. Ohne Anleitung praktiziert, setzt sie Vertrautheit mit der Gedankenwelt des Inneren Teams voraus.

    Kehren wir zurück zu unserem Ausgangsbeispiel: Die Studentin entschließt sich, die Anfrage ihres Kommilitonen zu beantworten, indem sie einen Teil ihrer inneren Diskussion an Ort und Stelle preisgibt. Neben vielen Vorteilen kann diese Reaktionsweise aber auch ausarten. Manche therapieerfahrenen oder kommunikationstrainierten Menschen haben es sich angewöhnt, mit großer Faszination und Ausführlichkeit ihre ambivalenten und multivalenten Prozesse zu beschreiben. Das Oberhaupt wird dabei zu einer Art Reporter des Geschehens auf dem inneren Spielfeld. Hier kann Ungeduld aufkommen: «Der Einblick in Ihre Innenwelt ist hochinteressant, Herr Kollege, aber irgendwann brauche ich auch mal eine klare Entscheidung von Ihnen!»
    Kontaktmanagement
    Bei dieser Reaktionsweise findet die innere Teamkonferenz zwar auch sogleich an Ort und Stelle statt, aber doch hinter verschlossener Tür. Die Tür wird bewacht von einem Kontaktmanager , der draußen die Stellung hält, indem er den Gesprächspartner hinhält, ihn zugleich bedient und ablenkt. Innerlich würde die Studentin fieberhaft die Frage erörtern, wie sie das Ansinnen findet und wie sie reagieren will. Nach außen hin aber lässt sie sich nichts anmerken und bringt ihre Kontaktmanagerin in Stellung: «Ach, willst du dich auf die Prüfung vorbereiten? Wann denn? Ich erst im übernächsten Jahr – aber du hast auch früher angefangen, oder nicht? Wann war denn das? Kannten wir uns da schon? Ich glaube, ich habe dich zum ersten Mal gesehen, als wir …» (s. Abb. 19).

    Abb. 19:
    Kontaktmanagement mit Türwächterin
    Mag sein, dass sie während dieser Plauderei ein wenig abwesend wirkt – dies wäre kein Wunder, da ja ihre Energieträger hinter verschlossener Tür tagen und sie davor gleichsam nur einen kommunikativen Notdienst aufrechterhält. Möglich wäre aber auch, dass die Kontaktmanagerin bereits große Übung darin hat, die Plauderei freundlich und intensiv zu gestalten, denn umso erfolgreicher wäre die Ablenkung für genau jene Zeit, die sie braucht, um innerlich zu einem mitteilbaren Ergebnis zu kommen. Und da der Mensch ganz offensichtlich fähig ist, Innen- und Außendienst gleichzeitig zu verrichten, kann es angehen, dass sie bald so weit ist und auf die eingangs gestellte Frage zurückkommt: «Was jetzt meine Mitschriften angeht, da muss ich ehrlich sagen …»
    Abbildung 19 bildet den kommunikativen Normalzustand vieler Menschen ab. Die Tür bleibt verschlossen, die Personalunion aus Türwache und Kontaktmanagement tut betriebsam ihren Dienst – und findet nicht selten im Gegenüber ihresgleichen vor, die ihrerseits das Gespräch wie geschmiert und nicht ohne dialogisches Talent in Gang hält.
    Wenn auch bei dieser Reaktionsweise die Gefahr der Verflachung menschlicher Begegnungen besteht, so sollte dennoch jede(r) über einen derartigen Manager im inneren Ensemble verfügen können – in manchen professionellen Situationen wird man ohne ihn schwer auskommen. Jener Teil in uns, der für rückhaltlose Authentizität steht und den Kontaktmanager für verwerflich und armselig hält, sollte ihn doch als gelegentlichen Teamkollegen willkommen heißen, und zwar nicht nur als

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