Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
entgegenkommender Ja-Sager die Bühne und ruft dem schon davonziehenden Gesprächspartner zu, man könne sich die ganze Sache vielleicht noch einmal wohlwollend überlegen … (vgl. Thomann und Schulz von Thun 1988, S. 149ff.). Die Menschen sind verschieden, auch was die Einteilung ihrer inneren Mitglieder in Frühmelder und Spätmelder betrifft.
Integrierte Stellungnahme als Sofort-Antwort
Dies ist die in der alltäglich gelungenen Kommunikation wohl am häufigsten anzutreffende Reaktionsweise: Nach blitzschneller Anhörung aller sich meldender Mitglieder reagiert das Oberhaupt mit einer Antwort, in der sich die Wortmelder vollständig oder wenigstens teilweise verwirklicht finden. So könnte unsere Studentin antworten: «Ich gebe dir meine Aufzeichnungen gern, aber ich möchte vorher noch Teile herausnehmen, die mehr persönliche Notizen enthalten. Und ich hätte eine Bitte: dass im nächsten Seminar du für die Mitschriften zuständig bist und ich sie mir kopieren kann – damit es nicht so einseitig wird zwischen uns, einverstanden?» An dieser Antwort, die als ein Teamprodukt gelten kann, hätten drei «innere Mitarbeiterinnen» (s. Abb. 21) mitgewirkt: die eine, die gern hilft (oder zumindest ungern nein sagt); die zweite, die sich nicht gern mit persönlichen Notizen entblößt; und eine dritte, die sich ungern ausnutzen lässt (oder doch jedenfalls der Ansicht ist, dass es jeder menschlichen Beziehung guttut, wenn Geben und Nehmen in etwa ausgeglichen sind).
Abb. 21:
Integrierte Stellungnahme: die Antwort als Teamprodukt
Eine solche Reaktion setzt einen blitzschnellen inneren Einigungsprozess voraus – einen Prozess, den das Oberhaupt zu leiten und zu gestalten hat. Wenn das gelingt, ist ein nachträglicher Aufstand von Mitgliedern, die sich übergangen fühlen, unwahrscheinlich. Das Problem ist nur: Wer kriegt das in schwierigen, heiklen, überraschenden Situationen so schnell hin? Wer hat so schnell «alle beisammen» und kann in Sekundenschnelle dafür sorgen, dass sie sich untereinander abstimmen?
Wenn wir zu integrierten Antworten dennoch häufig fähig sind, dann deshalb, weil die meisten Fragen, die das Leben und die Mitmenschen an uns herantragen, wiederkehrend und voraussehbar sind. Ich schätze, mehr als 95 Prozent aller Situationen, auf die wir zu reagieren haben, sind Standardsituationen, für die wir prinzipiell eine innere Teamkonferenz bereits durchgeführt haben. Ob und wie lange die Kinder fernsehen, ob die Gäste in meiner Wohnung rauchen dürfen, ob und zu welchen Bedingungen ich bereit bin, beim Nachbarn Babysitter zu sein, ob ich mich zum Elternvertreter wählen lassen will, ob ich die Tür öffne, wenn jemand Fremdes klingelt …, zu all den tausend kleinen Alltagsproblemen, die mir wiederkehrend begegnen und meine Antworten erzwingen, habe ich mein Inneres Team längst befragt und kann nach außen hin klar, differenziert, kraftvoll und (nicht zu unterschätzen) freundlich reagieren.
Nehmen wir das Beispiel einer 17-Jährigen, die von ihren Nachbarn manchmal gefragt wurde, ob sie abends babysitten könne. Eine Zeitlang hatte sie immer ein wenig «herumgeeiert», wie sie das selbst nannte: Halb hatte sie Lust dazu, mochte die Kinder auch gern, halb fühlte sie sich aber auch «verpflichtet» zu nachbarschaftlicher Gefälligkeit und sträubte sich gegen diese moralische Vereinnahmung; einerseits konnte sie das angebotene Geld gut gebrauchen, andererseits zierte sie sich, es anzunehmen, weil sie es doch gern täte und nachbarschaftliche Hilfe nicht mit Geld bezahlt werden sollte …, kurzum: ein ganz normaler kleiner «Teamkonflikt». Nachdem sie mit ihrer Freundin darüber gesprochen hatte, gelang es ihr, mit sich ins Reine zu kommen, das Ergebnis zeigt Abb. 22.
Abb. 22:
Integrierte Stellungnahme als Ergebnis einer inneren Teamkonferenz
Gern unter folgenden Bedingungen:
an einem festen Tag,
spontan nur, wenn ich wirklich nichts anderes vorhabe,
samstags abends nie,
höchstens zweimal die Woche,
für Geld (aber nicht zu viel).
Seitdem hatte sie eine klare Linie und konnte auf jede Anfrage eindeutig und freundlich reagieren, ohne ihrer inneren Gruppendynamik wieder und wieder ausgeliefert zu sein! Auch die Nachbarn wussten, woran sie waren – der Kontakt gestaltete sich klar und erfreulich.
Eine solche klare Linie bedeutet nicht, auf ein starres Muster festgelegt zu sein. Wenn Besonderheiten der Situation es nahelegen, kann man davon abweichen (zum Beispiel,
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