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Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation

Titel: Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedemann Schulz von Thun
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schön spießig!», fügt sie selbstkritisch hinzu und betont, dass die beiden Gäste sich freundlich und tadellos benehmen würden, sie ihnen «objektiv überhaupt nichts vorwerfen» könne.
    Dies ist ein typisches Beispiel für die zweite Stufe der Verbannung: Eine Antipodin meldet sich im «Innendienst», ist aber höchst unerwünscht, weil sie dem Selbstkonzept ihrer Besitzerin («Ich bin großzügig und liberal!») zuwiderläuft. Entsprechend wird sie abgewehrt und abgewertet: ein Außenseiterschicksal. Aber auch noch hinter Schloss und Riegel gelingt es der Antipodin, ihr (Un-)Wesen zu treiben. In dem Maß, wie ihr das Daseinsrecht verweigert wird, vermiest sie ihrer Besitzerin die Stimmung. Die Großzügige hat alle Hände voll zu tun, die Spießige abzuhalten, und verliert im Zuge dieser Schwerarbeit an echter Herzlichkeit (s. Abb. 63).

    Abb. 63:
    Die Großzügige als Hauptdarstellerin, die Spießige als innere Außenseiterin
    Für die Kommunikationsberatung stellt sich in solchen Fällen immer die Frage: Handelt es sich um ein zwischenmenschliches oder ein innermenschliches Problem? Ein zwischenmenschliches wäre es, wenn sie die «Überfremdung» in den eigenen vier Wänden nicht mehr hinnehmen will, aber sich nicht traut oder sich unfähig fühlt, mit dem Mitbewohner darüber erfolgreich ins Gespräch zu kommen.
    Ein innermenschliches Problem wäre es, wenn sie mit ihren eigenen inneren Reaktionen auf dem Kriegsfuß steht und nicht dazu stehen kann. Oder wenn sie sich nicht genau über ihren Standpunkt im Klaren ist: Was sie sich wünscht , was sie akzeptiert , was sie gerade noch durchgehen lassen und was sie keinesfalls hinnehmen will. Solange die Grenzziehung innerlich nicht klar ist, kann sie es auch äußerlich nicht werden.
    Im ersten Fall wäre ein Gesprächstraining, zum Beispiel im Rollenspiel, angemessen, im zweiten Fall eine Selbstklärung und/oder eine innere Teamentwicklung. Vielfach ist beides der Fall und miteinander verschränkt. Dann hat das Kommunikationsproblem eine inner- und eine zwischenmenschliche Komponente und ist normalerweise in dieser Reihenfolge zu bearbeiten (es sei denn, dass der innermenschliche Teil erst während des Gesprächstrainings bewusst und auffällig wird). Nutzen wir die Gelegenheit, dieses allgemeine Schema aufzuzeichnen (s. Abb. 64), bevor wir das Beispiel weiterverfolgen.

    Abb. 64:
    Idealtypische Unterscheidung von intra- und inter-personellen Komponenten in der Kommunikationsberatung
    In diesem Fall war die Sache eindeutig, auf die entsprechende Frage antwortete die Frau: Nein, das Gespräch wäre für sie kein Problem – sie habe keine Mühe, Konflikte zu besprechen, auch und gerade nicht mit diesem Mitbewohner. Das Problem sei wirklich, dass sie in diese erbärmliche, spießige Stimmung hineingerate, in der sie die Freude an ihrem Zuhause verliere und sich dazu noch eklig vorkomme.
    In einem solchen Fall besteht die Aufgabe der Beratung darin, dem inneren Außenseiter, dem «Nachtschattengewächs», Licht und Wärme zuteil werden zu lassen, ihm die Würde zurückzugeben, die ihm in seiner inneren Gruppe verweigert wird. «Setz dich mal auf den Stuhl derjenigen, die du als spießig empfindest, schlüpf mal in ihre Haut, und sprich als Spießige alles aus, was du auf dem Herzen hast!»
    Jeder Mensch ist liebenswert, wenn er nur wirklich zu Wort kommt – das trifft immer auch auf verbannte Antipoden zu. Wenn man der Spießigen ins Herz schaut, kommen ganz normale menschliche Regungen hervor, die alles andere als verdammenswert sind. Zum Beispiel: «Ich hasse das Wort, aber ich fühle mich richtiggehend ‹überfremdet›.»
    Berater: «Lass mal im Augenblick die kritische Distanzierung weg, die kommt ja von jemand anderem in dir! Schau mal nur der Spießigen ins Herz! Also du, Spießige , fühlst dich regelrecht überfremdet?» Sie (als Spießige): «Ja, genau! Wenn ich nach Hause komme, empfinde ich meine Küche als besetzt, als ob da kein Platz mehr für mich ist. Natürlich kann ich da sitzen und arbeiten, aber … (sie überlegt und ‹überfühlt›) … ich kann meiner eigenen Stimmung nicht so nachgehen, fühle mich selbst mehr als geduldeter Gast …» Berater: «Und das in deinem eigenen Zuhause!» Usw.
    Des Weiteren lohnt es sich, den Teil zu interviewen, welcher mit imperativer Wucht («Man darf auf keinen Fall spießig sein!») an der Ausgrenzung des Außenseiters arbeitet (Wagner 1984). Frage an die Offenherzige : «Was ist das

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