Miteinander reden 03 - Das "Innere Team" und situationsgerechte Kommunikation
Spiel.
Ein Familienvater verspürt zuweilen den klammheimlichen Impuls, «mal eben Zigaretten zu holen» und dann auf Nimmerwiedersehen spurlos zu verschwinden. Da er Frau und Kinder liebt, kreidet er sich diese Regung als perverse Phantasie an.
Eine Freundin ist voller Bedauern und Mitgefühl, als ihre beste Freundin durch die Prüfung fällt. Gleichzeitig spürt sie aber auch, dass jemand in ihr ist, der voller Genugtuung die inneren Sektkorken knallen lässt. Sie empfindet sich deswegen als unmenschlich und sündig und hofft auf Strafe vom Beichtvater.
In all diesen Fällen sind die inneren Wortmelder im eigenen Haus nicht gern gesehen, kriegen einen Maulkorb verpasst, werden, wenn möglich, hinter Schloss und Riegel gehalten oder werden, wenn sie sich doch einmal zu weit hervorwagen, mit Schimpf und Schande, Angst und Schrecken zurückgepfiffen.
Teilweise fallen sie der Verbannung anheim, weil sie dem allgemeinen Ich-Ideal ihres Trägers widersprechen, teilweise zusätzlich deshalb, weil sie der herrschenden Wertauffassung der eigenen Gruppe zuwiderlaufen. Wenn die Ideologie einer Gruppe eine klare Einteilung der Welt in Gut und Böse vornimmt und die «politische Korrektheit» ihrer Mitglieder streng überwacht, werden die Antipoden zu Ketzern und müssen sich hinter einem weit zugezogenen Vorhang verstecken. Das bedeutet aber auch ein Denk- und Wahrnehmungsverbot, denn die Antipoden sehen die Welt mit eigener Brille und erkennen in ihr andere Aspekte als die linientreuen Stammspieler. So ist jede Gruppe gut beraten, eine «Ambiguitätstoleranz» zu entwickeln, das heißt, eine souveräne Fähigkeit, Mehrdeutigkeiten und abweichende Einstellungen auszuhalten, wenn nicht sogar willkommen zu heißen. Innere und äußere Teamentwicklung bedingen sich dabei gegenseitig.
Teilweise scheint die Verbannung der Antipoden auch deshalb erforderlich, weil das Oberhaupt befürchtet und sich ausmalt, dass sie, einmal losgelassen, eine dämonische Macht entfalten könnten. Eine entsetzliche Vorstellung, wenn die wütende Verzweiflung der Mutter tatsächlich zur Misshandlung oder Tötung des Kindes führen, der Vater tatsächlich seine Familie im Stich lassen würde! Potenzielle Verbrecher muss man einsperren, um die Allgemeinheit zu schützen – gilt dies nicht auch für die innere Gesellschaft?
Eher scheint das Gegenteil der Fall: Hinter Schloss und Riegel können sie sich an ein zivilisiertes Leben nicht gewöhnen; und wenn sie dann Überdruck entwickeln und schließlich ausbrechen, sind sie von unkontrollierbarer Wucht und laufen womöglich Amok. Sind sie hingegen an Freiheit und frische Luft gewöhnt, können sie in einem intakten Team unter Leitung eines starken Oberhaupts ihre Lebensenergien konstruktiv einbringen. Deshalb ist die Integration innerer Außenseiter ratsam.
Bei dem inneren Außenseiter des folgenden Beispiels handelt es sich um eine Gestalt, die wohl wie keine andere von der 68er-Generation der Verachtung anheimgegeben war und ist: den deutschen Spießer.
Die «Spießige»: Integration innerer Außenseiter
Dieses Beispiel stammt aus der Kommunikationsberatung. Eine junge Frau hat eine kleine Dreizimmerwohnung. Sie hat viele Freunde und Bekannte, und da sie eines der drei Zimmer nicht unbedingt selbst benötigt, nimmt sie gegen ein Entgelt immer mal wieder jemanden auf, der gerade keine Bleibe hat. Im Vordergrund ihrer inneren Bühne steht eine großzügige, tolerante Türöffnerin, die dem jeweiligen Mitbewohner alle Rechte der zwanglosen Mitbenutzung und der uneingeschränkten Lebensführung einräumt: «Fühl dich wie zu Hause!» So weit, so gut. Nun passierte es, dass ein neuer Mitbewohner danach fragte, ob auch seine Freundin hin und wieder bei ihm übernachten dürfe. «Aber klar doch! Denkst du, ich bin eine Frau Wirtin, die über Damenbesuch wacht?» So weit auch gut. Mit der Zeit allerdings bemerkte sie bei sich eine Veränderung ihrer Stimmung. Oft, wenn sie nach Hause kam, erlebte sie ihre Wohnung als «besetzt», besonders wenn das Paar zwanglos in der Küche saß, was in letzter Zeit immer häufiger vorkam. Frage (in der Beratung): «Wer meldet sich denn da in dir?» Sie antwortet mit angewiderter Stimme: «Das ist meine Küche, und die will ich für mich haben! – Und überhaupt passt mir das nicht, wenn der Besuch mehr und mehr anfängt, hier auch noch zu wohnen!» Sie gibt ihrer Stimme einen tantenhaft-meckernden Klang, um sich als Oberhaupt davon zu distanzieren. «So richtig
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