Mittelalter, 100 Bilder - 100 Fakten
den Steinfiguren beeindrucken. Sie erzählten ihm die biblische Geschichte, erläuterten ihm die Inhalte seines Glaubens und formten sein Weltbild. Die Propheten des Alten Testaments, die Apostel, Christus als Weltenrichter, Hölle und Paradies, die Fratzen der Verdammten und das Lächeln der Seligen, das alles sah er leibhaftig. Der Stein redete eine deutliche Sprache, und die Menschen verstanden sie
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Die Basilika von Vézelay in Burgund trägt ausdrucksvollen Figurenschmuck. Hier das Jüngste Gericht am Hauptportal der Westfassade. Die Menschen des Mittelalters „lasen“ diese Steinbilder wie ein Buch
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(c) akg, Berlin
Regentinnen, Handelsgehilfinnen, Heimarbeiterinnen
Die soziale Stellung der Frau
Je nach Schichtenzugehörigkeit besaßen Frauen in der mittelalterlichen Gesellschaft wenig oder viele Rechte. Am besten gestellt war die adlige Frau. Sie konnte sogar Anteil an der Herrschaftsausübung erlangen. So sind aus der fränkischen Geschichte oder aus der Zeit, da die Ottonen und Salier auf dem deutschen Thron saßen, genügend Frauen bekannt, die z.B. als Regentinnen für ihre minderjährigen Söhne die Geschicke ganzer Reiche lenkten. Zwar waren auch adlige Frauen der Vormundschaft ihres Mannes oder ihrer Familie unterstellt, aber sie konnten frei über ihren Eigenbesitz verfügen. War der Mann zum Kriegszug unterwegs, was oft genug vorkam, dann herrschte die Frau uneingeschränkt über sein Anwesen.
Gesellschaftsspiel „Frauendienst“
Allerdings nahmen schon im Hochmittelalter die Möglichkeiten für Frauen, Herrschaft auszuüben, ab. Das zur selben Zeit in den Liedern der Minnesänger beschworene Frauenbild sollte man nicht wörtlich nehmen. Die Verehrung, die der höfischen Dame zuteil wurde, der „Frauendienst“, war in erster Linie Gesellschaftsspiel.
In der Schicht des Stadtbürgertums dagegen gab es für die Frau neue rechtliche und wirtschaftliche Möglichkeiten. Seit dem 13. Jahrhundert sind kaufmännische und gewerbliche Aktivitäten von Frauen belegt. Sie schlossen Verträge, machten Geschäfte. Es gab Berufstätige in den traditionellen Frauenberufen wie Hebamme oder Bademagd, aber auch Ärztinnen. Im Handwerk waren Frauen vielfach tätig, wenn auch zumeist als Hilfskräfte. Selbständige Meisterinnen waren wohl eher die Ausnahme. Die Frau eines zünftigen Handwerkers gehörte zu dessen Genossenschaft; beim Tod des Mannes kam die Zunft für ihre Alterssicherung auf, was meist so geregelt wurde, dass sie einen neuen Ehemann bekam, der den Handwerksbetrieb weiterführen durfte. Im Handel spielten sie eine wichtige Rolle als Mitarbeiterinnen ihrer Männer. Sie führten die Bücher und die Korrespondenz und leiteten das Büro, wenn der Mann auf Reisen war.
Härten des Landlebens
In der bäuerlichen Gesellschaft stand die Frau vollständig unter Vormundschaft des Ehemannes, der ihr eingebrachtes Vermögen verwaltete und ihr gegenüber das Züchtigungsrecht besaß. Meist früh verheiratet, hatte sie zahlreiche Geburten zu absolvieren, denn Säuglings- und Kindersterblichkeit waren hoch. Frauen waren tätig in Haus und Garten, daneben nahmen sie an Erntearbeiten und an der Viehzucht teil. Zur ländlichen Frauenarbeit gehörte die Textil- und Kleiderherstellung, zunächst nur zum Eigengebrauch, später auch im Auftrag von Industriellen aus den Städten.
Unn die Wikingerherrin
In den altisländischen Sagas sind Geschichten von Frauen überliefert, die bis zum letzten Tag das Zepter nicht aus der Hand gaben, etwa Unn, genannt „die Weise“. Wenn auch „matt und schwach infolge des Alters“, richtet sie doch noch ein Gelage anlässlich der Hochzeit ihres Enkels aus, ermuntert die Gäste, tüchtig zu trinken, und zieht sich dann in ihre Kammer zurück. Am nächsten Morgen findet man sie tot, aufrecht in die Kissen ihres Bettes gelehnt. „Die Leute waren sehr beeindruckt, wie Unn ihre Würde bis zum letzten Tag bewahrt hatte.“ Auch ihr Lebensweg hatte es in sich. Unn war die Gattin eines norwegischen Heerführers, der mit den Seinen nach Schottland ausgewandert war. Nach dem Tod ihres Mannes zog sie zu den Orkneyinseln, von wo sie auf die Färöer und schließlich nach Island übersiedelte. Dort baute sie einen Hof und verteilte das Land ringsum an Männer ihrer Sippe
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Die Darstellung von Adam und Eva auf dem Grabower Altar (1379–1383), einem Werk des Meisters Bertram von Minden, illustriert die bäuerliche Arbeitsteilung: Der Mann gräbt auf dem Feld mit der Hacke, die Frau sitzt am
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