Mittelalterliche Klöster: Deutschland - Österreich - Schweiz
roter Mennigfarbe ausgezogen, die Beschriftungen durch zwei verschiedene Hände in schwarzer Tinte (Eisengallustinten) vor genommen. In einer am rechten Rand neben dem Friedhof befindlichen Widmungsinschrift wird der Plan Abt Gozbert (817 – 837) von Sankt Gallen zugeeignet, unter dessen Führung ab 830 eine neue Klosterkirche entstand. Die neuen Konventsgebäude wurden erst unter seinen Nachfolgern Grimald (841 – 872) und Hartmut (872 – 883) errichtet.
Im Zentrum des Planes befindet sich der Kreuzgang mit den Gebäuden der engeren Klausur. Nördlich von ihm liegt die Klosterkirche ( Abb. 25 ), eine dreischiffige, doppelchörige Säulen- oder Pfeilerbasilika mit östlichem Querhaus ohne ausgeschiedener Vierung, die im Westen von einem halbkreisförmigen Atrium, dem zwei freistehende Türme vorgelagert sind, abgeschlossen wird. Zwischen den Türmen gibt es eine Vorhalle, durch die das Volk in die Kirche gelangen konnte. Dem Atrium im Westen korrespondiert ein halbkreisförmiger Umgang im Osten. Die liturgische Binnengliederung des Kirchenraumes ist detailliert angegeben. Allein 17 Altäre in der Kirche, Taufbecken, Lesepult, Gallusgrab, Chorgestühl, Bänke und vieles mehr wurden beschriftet oder zeichenhaft vermerkt, sogar die Länge des Kirchenraumes (200 Fuß), die Mittelschiffsbreite (60 Fuß), die Seitenschiffsbreite (20 Fuß) und der Säulen- bzw. Pfeilerabstand (12 Fuß) angegeben. Nördlich des erhöhten, über einer Krypta befindlichen östlichen Sanktuariums plante man im Untergeschoss das Skriptorium, darüber die Bibliothek. Auf der Südseite war der untere Raum der Sakristei, der darüber liegende der Schatzkammer vorbehalten.
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23 ▲ St. Gallen (Kt. St. Gallen), Stiftsbibliothek, Codex Sangallensis 1092 (Faksimile des Gesamtplans).
Am östlichen Klausurflügel liegen unten der Wärmeraum und oben das Dormitorium. Über Zugänge an dessen Südseite ist der Trakt mit dem Badehaus ( balnea ) bzw. Waschräumen ( lavatoria ) und den Latrinen verbunden. Am südlichen Kreuzgangflügel befindet sich das Refektorium mit Bänken, Tischen und Lesepult zu ebener Erde, darüber die Kleiderkammer ( vestiarium ). Das Refektorium ist an der westlichen Schmalseite direkt mit der Küche verbunden. Am westlichen Flügel sollten Keller ( cellarium ) und darüber Vorratsräume entstehen. Zwischen Kirche und Klausurflügel lag der Sprechraum, der zugleich als Durchgang von der äußeren zur inneren Klausur fungierte. Nördlich der Kirche befindet sich der öffentliche Bereich mit eigener Küche, Gästehaus, Schule und Abtshaus, südlich der engeren Klausur die Werkstätten für die unterschiedlichen Gewerke, Korn- und Fruchtspeicher und östlich davon der Krankentrakt ( infirmarium ) in Form eines Klosters en miniature, das Noviziat, der Friedhof, Gemüsegarten, Gänse- und Hühnerstall. Westlich der Klausur finden sich weitere Wirtschaftsgebäude und Stallungen sowie Pilgerherberge, Back- und Brauhaus.
Hervorzuheben ist, dass am Kreuzgang noch kein Kapitelsaal ausgewiesen wurde, obwohl dieser als Funktionsraum, wie zeitgenössische Regelkommentare zur Benediktregel zeigen, schon existierte. Darüber hinaus fehlen der Karzer, aber auch Hinweise auf ein ausgeklügeltes Wasserversorgungssystem, wie es der um 1160 entstandene Plan von Prior Wibert in Canterbury zeigt.
Die Forschung zum Klosterplan kreist hauptsächlich um vier Themenkomplexe: erstens die Frage nach der Herkunft, der Autorschaft und dem Zweck; zweitens, ob es sich bei dem Plan um eine Vorlagenkopie oder einen originalen Entwurf handelt; drittens die Frage, ob der Plan eine ideale, vorbildhafte Lösung darstellt oder als realer Bauplan zu verstehen ist; schließlich viertens das damit verbundene Problem der Maßstabsgerechtigkeit.
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24 ▲ St. Gallen (Kt. St. Gallen), Stiftsbibliothek, Codex Sangallensis 1092, schematische Darstellung nach W. Erdmann:
1 Abteikirche,
2 Paulus-Altar,
3 St.-Gallus-Sarkophag,
4 Hochaltar,
5 Krypteneingänge,
6 Lesepult,
7 Kreuzaltar,
8 Altar für Johannes d. Täufer und Johannes d. Evangelisten,
9 Taufbecken,
10 Petrus-Altar,
11 Paradies,
12 Rundtürme,
13 Skriptorium im EG / Bibliothek im OG,
14 Sakristei im EG / Kammer für liturgische Gewänder im OG,
15 Hostienbäckerei,
16 Wärmeraum im EG / Dormitorium im OG,
17 Latrine,
18 Badehaus / Waschraum,
19 Kreuzganginnenhof,
20 Kreuzgang,
21 Refektorium im EG / Kleiderkammer im OG,
22 Küche,
23 Brauerei und Bäckerei für die Mönche,
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