Mittelalterliche Klöster: Deutschland - Österreich - Schweiz
der Plan das reale Gelände des Gallusklosters nicht respektiert. Da der Plan eine Maßeinheit und einen Maßstab besitzt, jedoch anachronistisch auf dem altrömischen Fuß basiert und die Gozbert-Kirche, soweit sie ergraben wurde, keinerlei Ähnlichkeiten mit der des Planes zeigt, dürfte es sich nicht um einen umzusetzenden Bauplan gehandelt haben. Hoffmann merkte noch weitere Ungereimtheiten an. Die im Plan eingetragenen Bäume und Pflanzen entstammen dem Capitulare de villis Karls des Großen und enthalten mit Feigen- und Pfirsichbaum zwei Gewächse, die klimatisch in Sankt Gallen nie gedeihen konnten. Darüber hinaus sind die Wendeltreppen der Westtürme der Kirche nach dem Prinzip der archimedischen Spirale konstruiert. All dies führte Hoffmann zu der These, dass es sich hierbei nur um einen fingierten Bauplan handeln könne, der „ein Denkmodell von der philosophischen Struktur der Fiktion“ darstelle. Wie man den Plan auch interpretieren mag, er zeigt detailliert mögliche Anforderungen an das Klosterleben basierend auf der Benediktregel.
3. Die Klosterinsel Reichenau
D ie Reichenau ( Augia dives – reiche Au) stellte zwischen dem 8. und 11. Jahrhundert eines der wichtigsten und bedeutendsten religiösen, geistigen und kulturellen Zentren im Heiligen Römischen Reich dar. Mit dem Kloster Mittelzell, den Stiftskirchen Sankt Peter und Paul in Niederzell sowie Sankt Georg in Oberzell, die seit dem Jahr 2000 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören, besitzt die Insel nicht nur architekturhistorische Denkmale von hoher Güte, sie ist auch als Kulturlandschaft mit ihrer Sakraltopografie, den Siedlungsformen und Bodennutzungen ein einzigartiges geschichtliches Zeugnis.
Um 724 gründete der irofränkische Wanderbischof Pirmin († 754) mit Zustimmung Karl Martells und mit Unterstützung des alemannischen Adels auf der Insel im Untersee ein der hl. Gottesmutter geweihtes Kloster. Die Mönche folgten ursprünglich einer Mischregel. Wann die Benediktregel eingeführt wurde, ist ungewiss. Abt Heito entsandte 816 zwei Mönche nach Aachen, die ein authentisches Exemplar der Regula Benedicti beschafften. Von diesem Text wurde der bereits erwähnte Codex Sangallensis 914 kopiert. Um 800 kamen die beiden Kirchen in Nieder- und Oberzell hinzu, in ottonischer Zeit Sankt Johann als Pfarr- und Begräbniskirche für die Klosterleute sowie Sankt Adalbert. Die Kirchen gehörten dem Kloster und die Insel selbst umfasste den Klosterbezirk. Der heutige Damm entstand als befestigter Zugang erst in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. Die relativ geschützte Insellage, die überschaubare Zahl der Siedler sowie die Ausgliederung des Marktes nach Allensbach bzw. Radolfzell ließ, um sich gegen die wachsende Zahl von Klosterfremden abzugrenzen, erst im Spätmittelalter eine Klostermauer nötig werden.
Die Bedeutung des Reichsklosters als ein wichtiges politisches, wissenschaftliches und kulturelles Zentrum gründet im politischen Einfluss ihrer Äbte, den hier entstandenen theologischen, wissenschaftlichen und poetischen Arbeiten sowie den künstlerischen Leistungen eines äußerst produktiven Skriptoriums. Abt Waldo (786 – 806) und Heito gehörten zum Kreis der Vertrauten Karls des Großen, Abt Walahfried Strabo
|40| (838 – 849) war zwischen 829 und 842 zugleich Erzieher Karls des Kahlen bei Hof und Abt Heito III. (888 – 913) wurde 892 Erzbischof von Mainz und damit Erzkanzler des Reiches. Walahfried Strabo und Hermann der Lahme (1013 – 1054) gelten als vielseitig interessierte Gelehrte und produktive Schriftsteller. Die berühmte Klosterbibliothek umfasste bereits 821 rund 421 Bände. Die Kriegswirren des späten 10. Jahrhunderts, von denen die Reichenau verschont blieb, bewegte die Mönche von Sankt Gallen ihre Bibliothek dahin auszulagern. Die Reichenauer Mönche nutzten die Gunst der Stunde und kopierten wertvolle Manuskripte, sie fertigten aber auch Prachthandschriften für hohe Auftraggeber (z. B. Egbert-Codex) an.
27 ▲ Reichenau im Bodensee (Baden-Württemberg), Mittelzell, Benediktinerkloster St. Maria und Markus, Ansicht der Klosterkirche von Nordosten. Die gotische Choranlage setzt sich deutlich von den älteren romanischen Bauteilen ab. Sie wurde erst in der Mitte des 15. Jh.s begonnen.
28 ▲ Reichenau im Bodensee (Baden-Württemberg), Mittelzell, Benediktinerkloster St. Maria und Markus, Grundriss der Klosterkirche im heutigen Zustand. Gut erkennbar sind die größeren Bauetappen. Die Anschlüsse des
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