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Mittelreich

Mittelreich

Titel: Mittelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Bierbichler , MITTELREICH
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beginnt dann zu hyperventilieren. Der Lot springt auf und gibt seinem Arbeitspolen ein Zeichen, mitzukommen. Vor der Küchentür, die direkt hinaus ins Freie führt, geht ein lautes Reden und Palavern los. Drinnen kümmern sich derweil die beiden andern Schwestern, ebenfalls zutiefst verstört, um die nach Luft und Leben und ein ungestörtes In-der-Welt-sein-Wollen ringende Theresa.
    Nach kurzer Zeit kommt der Lot zurück und fordert seine Töchter auf, die Reste ihres Abendessens ungeschmälert in ein sauberes, von keinem Fleck entstelltes, gastfreundlich gemeintes Bescheidtuch zu verpacken und den Krug Milch, den frischen, der gerade eben erst gemolken worden war, bereitzustellen. Die beiden noch stabilen Schwestern tun, was ihnen aufgetragen ist.
    Währenddessen prallen draußen Worte einer fremden Sprache heftig aufeinander und mischen sich mit Schmerzensschreien, bis die Türe auffliegt und der Zwangsarbeiter in die Küche stürzt, das Gesicht ganz blutverschmiert, und immer wieder schreit: Die mich wollen machen tot! Die mich meinen ich Verrat!
    Als der Lot mit den ins Handtuch eingepackten Resten und dem Krug voll Milch nach draußen gehen will, schlurft ein KZ ler in die Küche rein und schaut sich um.
    Wie angewurzelt bleibt er stehen und stiert die Frauen an: Ein zerlumpter, dreckverschmierter, kahlrasierter Knochenmann glotzt aus den hohlen Augenlöchern seines Totenkopfs heraus die drei, in der frühen Blüte ihres Frauenlebens noch unverbrauchte Unschuld atmenden Töchter des Lot wie eine überirdische Verheißung an!
    Dann ruft er laut nach draußen.
    Kriegt aber keine Antwort.
    Stattdessen dringt hysterisches Gegacker von aufgescheuchten Hühnern aus dem Hühnerstall herüber, der nahe bei der Küchentüre an die Scheune grenzt. Da springt die Theres auf und rennt zur Türe, die direkt in den Kuhstall führt. Als der Knochenmann ihr nach will, stürzt sich der Lot auf ihn und reißt ihn nieder. Der Krug zerbricht, der Kruginhalt verspritzt und fließt langsam in die Spalten des gefliesten Küchenbodens. Da windet sich die Schreckgestalt aus der Umklammerung des Lot und kriecht auf allen vieren zu der Stelle, wo der letzte Rest der Milch in den porösen Kalksteinplatten zu versickern droht, und leckt mit ungehemmter Gier das Weiße auf vom Boden, wie die Katze, immer weiter, auch da, wo nichts mehr ist. Der Lot, gerade noch bereit, sich wieder auf den Mann zu stürzen, steht gebannt und ergötzt sich, ohne Freude und Genuss, doch fassungslos an diesem Bild. Er kann es gar nicht glauben und kriegt und kriegt doch nicht genug davon. Schamlose Neugier und schamvolles Wegsehen-Wollen bekämpfen einander und vermischen sich und machen ihn zu einem Fremden in sich selbst. Er findet sich nur schwer zurecht. Ein Lachen, kindisch und infam, presst und stößt aus ihm heraus, von dem er weiß, wie dumm es ist, er kann es aber nicht verdrücken. Das gibt es nicht, das kann doch gar nicht sein! Was macht, um Himmels willen, der jetzt da?, sagt er immer wieder und lacht und kichert es hinaus. Eine fremde Stimme hört er reden, die ihm furchtbar peinlich ist, von der er weiß, dass sie die seine ist, die er aber so nicht kennt und mag, und trotzdem weiß er nicht, wie er sie sich jetzt abgewöhnen kann.
    In die Ecke untern Herrgottswinkel hat sich der Zwangsarbeiter hingekauert, als ob er dort gesichert wär, und leckt das Blut von seinen Lippen. Scheu schauen ihm die beiden Schwestern zu und angeekelt.
    Draußen sieht der andere der beiden, von den Folterknechten im KZ zum Totenmann Herabgewürdigten, gerade als er mit der toten Henne aus dem Hühnerkäfig tritt, ein Weiberkleid im angelehnten Scheunentor verschwinden. Dem steigt er nach. Doch im undurchdringlich dunklen Schober stößt er sich an allerlei Gerümpel und Gebälk nach und nach den Kopf zurecht und vergisst sehr schnell das weiße Fleisch der Frau und besinnt sich wieder auf das ungerupfte tote Fleisch in seiner Hand, den andern Hunger, furchtbarer als der eine. Er tappt hinaus ins helle Dunkel und von dort ins helle Licht der Küche, wo sein Leidgenosse immer noch, als gehöre er zu einer anderen Art, den Boden leckt. Doch bald lassen sie sich, willenlos und todesschwach, bewaffnet nur mit ihrem Aussehen und den Knüppeln, die sie sich vorm Haus vom Holzstoß holten, von den beiden Töchtern Lots die Beute aus dem Hühnerstall für das erste Festmahl nach der Hölle zubereiten und trinken, als Aperitif, eine ganze Kanne Milch und fressen nebenher, als

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