Mittelreich
Mann in seinem Blut das Graupeln kriegt, während ihre rechte Hand den elefantenknochenfarbenen Filter an ihren dunkelrot geschminkten Mund zum Zug aus ihrer Zuban-Zigarette schiebt. Der Seewirt denkt zuerst an einen Ufa-Film. Doch dann erinnert er sich wieder der Gefahr. – Wir können heut den Preis nicht mehr verleihen, Frau Meinrad, sagt er, dafür ist es leider schon zu spät. – Wer will denn einen Preis, Freund Wirtchen, sagt die Meinrad, wer redet denn vom Preis, wenn es um die Liebe geht? Sie sind ja ein ganz ausgefuchster Bursche, einer, der wie Rommel durch die Wüste geht. Was? Da fühl ich mich ja richtig aufgehoben! Wissen Sie denn auch schon, wie das Spielchen mit der Liebe geht? – Frau Meinrad, jetzt ist Schluss! Es ist halb drei, wir schließen jetzt. – Da greift die Frau ihn, samt dem noch glühenden Elfenbeinkiel zwischen ihren Fingern, grob, als wäre er im Joch ein Ochs, am Schlips und zieht ihn nah heran an ihren Bart – den hingeklebten im Gesicht – und schaut ihn an wie eine Schlange ihren Frosch. Vorsicht, Seewirtchen, sagt sie, noch ist nicht aller Tage Abend. Wir sind noch lang nicht alle tot, und was noch lebt, ist auch noch richtig da. Eine kleine Frechheit dürfen Sie sich schon erlauben und ausprobieren, wie Sie damit fahren. Jeder muss jetzt sehen, wo er bleibt. Doch treiben Sie es nicht zu weit! Wir sind noch lang nicht abgetrieben. Merken Sie sich das! Denn um einfach mir nichts, dir nichts zu verschwinden, dafür waren wir zu viel. Also immer langsam, Wirtchen, immer nur mit Maß und Ziel. So. Und jetzt holen Sie noch was zu trinken! Champagner bitte, weil es doch um eine Zukunft geht. Oder gibt es das bei Ihnen nicht? Dann einen Wein, den roten, wenn ich bitten darf, einen Südtiroler Kalten See. Und dann trinken wir auf das, was war, die gute alte Zeit. Und dass sie wiederkommt und nicht zu lange auf sich warten lässt. Da, Sie Stoffel, jetzt kommen Sie mal her, dann schauen wir mal, wie er Ihnen steht. Und damit rupft sie sich den Hitlerbart vom obern Lippenteil und klebt ihn beim stocksteifen Seewirt an der gleichen Stelle wieder hin. Und voreinander stehen jetzt, in Treue fest, ein verwirrter Wirt und ein aufgebrauchter Nazifotzenrest.
Die Meinrad ist jetzt schwer besoffen. Was jetzt noch kommt aus ihrem Mund, ist Schaum. Sie lehnt am Seewirt dran wie eine alte Leiter im Herbst an einem Apfelbaum. – Das ist doch alles längst vorbei, Frau Meinrad, sagt der Wirt, und besser ist es, wenn man gar nicht mehr darüber redet. Wer weiß, wer zuhört und was der sich denkt und andern Leuten weitersagt? Und dass nicht alles schlecht war damals, weiß doch jeder. Ich war zwar nie ein Nazi. Doch kein Nazi war ich nie. Also denken wir uns einfach, was noch fast ein jeder denkt ... Sie gehen jetzt am besten heim, und den Rotwein trinken wir ein andermal. Er zieht den Bart von seiner Oberlippe und steckt ihn ihr vor der gewölbten Brust ins Anzugtäschchen – steckt ... und steckt ... und steckt ihn rein – bis er drinnen stecken bleibt. Dann führt er das noch sattsam jung gebliebne alte Naziweibchen höflich an die Tür und lässt sie in die Nacht hinaus. Sie tappt davon, weit hat sie nicht, nur dreimal fällt sie hin, und dann ist sie zu Haus.
Viktor, Valentin und die Kellnerinnen haben derweil mit stoischer Durchhaltekraft den Anfangszustand des Wirtshauses nahezu wiederhergestellt: Die Schänke ist aufgeräumt, die letzten Gläser sind gewaschen und trocknen auf doppelt gefalteten Tischdecken vor sich hin, der grobe Dreck ist hinausgekehrt, die Stühle stehen auf den Tischen. Dann lädt der Seewirt alle noch zum Sekt, den alle schnell hinunterschütten, mit säuerlich verzogenen Gesichtern. Niemand ist so ein Getränk gewöhnt. Und alle wollen nur noch in ein Bett. Von den Bedienungen fährt keine mit dem Fahrrad mehr nach Haus. Das ist jetzt zu gefährlich. Alle haben das Gefühl, der Wind hätte noch mal zugelegt. Mit Decken richten sie ein notdürftiges und hartes Lager auf dem gewachsten Bretterboden der geheizten Stube und sind nach kurzer Zeit tief eingeschlafen. Der Seewirt dreht die Lichter aus und geht dann noch mal vor die Tür. Schlaf wird er diese Nacht nicht finden.
Der Wind wütet wie der Krieg, denkt er. Ich hab ihn so noch nicht erlebt. Da könnte einer glatt ins Beten kommen. Aber das ist auch nur Hörigkeit. Dann hört er Gesang, der immer wieder vom Sturm zerfetzt wird. Er geht ans Ufer hinunter – und tatsächlich, auf dem Schiffsanlegesteg singt
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